Paul Di’Anno – eine Art Nachruf
Die Nachricht ging am letzten Montag mittags herum wie das sprichwörtliche Lauffeuer: Paul Di’Anno – bürgerlich: Paul Andrews – war in der Nacht im Alter von 66 Jahren verstorben.
Zahlen sind Schall und Rauch
Pauls Bedeutung für das Metal-Universum lässt sich versuchsweise in nüchterne Zahlen packen: 23 Songs in etwas mehr als drei Jahren aufgenommen, verteilt auf zwei Alben, Non-Album-Singles und B-Seiten, darunter eine Coverversion („Women in Uniforms“). Aber bei Paul Di’Anno ging es ganz und gar nicht um das Was. Es ging um das Wie.
Wie das Kind zur Jungfrau
Denn Paul Di’Anno stand ab 1978 bei den jungen Hopefuls namens IRON MAIDEN am Mikrofon. Seine Stimme und die geniale Idee, die Songs der Band auf zwei Leadgitarren hin auszurichten, waren der Schlüssel zum Erfolg in den Anfangstagen der NWOBHM. Gute Songs schreiben konnten MAIDEN überdies, aber das gewisse „Etwas“ brachte der Mann aus dem östlichen Londoner Vorort Chingford in die Band mit ein.
Keep the Pace
IRON MAIDEN als Gesamtpaket war so aufgestellt in der Lage, mit JUDAS PRIEST und SAXON im Rennen um den Thron der NWOBHM-Szene mitzuhalten. Hard Rock und eine ordentliche Portion Punk brachte Paul Di’Anno mit seiner Stimme auf einen Nenner. Und das mit einer Energie und Glaubwürdigkeit, die man einem 20jährigen Spund nicht zutrauen mochte.
Zeitzeugen der Anfänge
Wer Paul Di’Anno während seiner Zeit bei IRON MAIDEN live auf der Bühne erlebt hat, ist heute mindestens so alt, wie er geworden ist, Generation 65+. Was diese Zeitzeugen über vier Jahrzehnte hinweg zum Schwärmen gebracht hat, lässt sich anhand der vorhandenen Liveaufnahmen in Ton und Bild nach einhelliger Meinung nur unvollständig nachvollziehen. Auch wenn man sich die Erfolge von IRON MAIDEN in den 1980er Jahren mit Bruce Dickinson ins Gedächtnis ruft: Tatsache bleibt – und das gibt Bruce unumwunden zu Protokoll – er war längere Zeit in Pauls großen Fußspuren unterwegs.
Das jähe Ende
Am 10. September 1981 sah es nach dem Gig von IRON MAIDEN im Odd Fellow Palais in Kopenhagen für die Öffentlichkeit nicht so aus, aber: es sollte Paul Di’Annos letzter Auftritt mit den Jungfrauen sein. Sechseinhalb Wochen später ging die Tour mit Dickinson in Italien weiter.
Wie Jekyll und Hyde…
Denn es gab die stimmgewaltige Rampensau – man könnte auch sagen: den Künstler – Paul Di’Anno und es gab Paul Diabolo (Zitat von Dave Murray) abseits der Bühne. Rauchen, Kiffen, Saufen, Pöbeln, Stänkern. Wären diese Disziplinen des Rockbusiness in der Ära Di’Anno olympisch gewesen – dem wilden Lockenkopf wäre ein Platz auf dem Podest sicher gewesen.
Rebel without a cause
Paul Di’Anno blieb zeitlebens gegenüber seiner Umwelt in dieser Haltung von Ich gegen den Rest der Welt. Über seine Ehen, seine Bekanntschaften mit dem Arm des Gesetzes und den Auswirkungen auf seine Gesundheit ist sicher alles Wesentliche geschrieben. Aber der Bad Boy war und ist – und bleibt! – Teil der Legende, in der Paul Di’Anno seine eigene tragische Heldenfigur gespielt hat.
Der letzte Vorhang
Vor etwa vier Wochen ließ Paul über sein Management verlauten, dass seine anhaltenden Probleme mit seinen lädierten Knien in dazu zwängen, von langen Touren in Zukunft abzusehen. Desweiteren könne er nur noch in solchen Venues spielen, in denen der Bühnenzugang und der Garderobenbereich rollstuhlgerecht sei. Keiner konnte ahnen, dass vier Wochen vor dieser Ankündigung am 30. August in Krakau in Polen der rückblickend letzte Gig des selbsternannten Old Warhorse – des alten Schlachtrosses – stattgefunden hatte.
Alles gegeben bis zuletzt
Ich habe Paul Di’Anno einmal in den 1990er Jahren in Belgien live erlebt. Dann dauerte es über 25 Jahre bis 2023 bis zu einem Wiedersehen. Zuerst im Juli als special guest beim ersten Livekonzert von KK’S Priest in KK Downing’s Steel Mill in Wolverhampton und dann Anfang Oktober beim Keep It True Rising III in Würzburg. Die Energie von Paul Di’Anno war trotz der für einen Sänger ungünstigen sitzenden Position ungebrochen und seine Stimme hatte die Power, die man für die Klassiker seiner Schaffensphase bei IRON MAIDEN braucht. Darüber hinaus riefen auch die Songs aus eigener Feder ins Gedächtnis, was Paul als Songwriter zu leisten im Stande war.
Nach Ronnie James Dio und Lemmy hat der Metal einen weiteren ganz Großen verloren.
Rest in Metal, Paul!
Von den erwähnten reduzierten Gigs, die jetzt hinfällig sind, einmal abgesehen, gab und gibt es aber noch weitere Aktivitäten, die über Paul Di’Annos zu frühen Tod hinaus fortgeführt werden. Der Regisseur und Autor Wes Orshoski (bekannt durch die Dokumentation „Lemmy“) wird in 2025 die Arbeiten an einer filmischen Dokumentation über Paul Di’Anno fertig stellen. Eine Veröffentlichung auf Filmfestivals im Frühjahr ist schon länger angepeilt. Wir werden das für euch im Auge behalten.
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Bildquellen
- PLHBuehne-Desi_Mendoza: unsplash.com - Desi Mendoza
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