Jen Majura im Interview
Jen Majura – Sängerin, Bassistin und Gitarristin. Ihr Soloalbum „InZENity“ kam am 24. November 2017 heraus. Kurz davor „Synthesis“ (hier die Review) von Evanescence. Dazu dann noch eine Tour in den USA. Die Frau ist wahrhaft rundum beschäftigt und eine eigene Musikschule hat sie auch noch. Trotzdem hat sie sich die Zeit genommen, unsere Fragen zu beantworten. Herausgekommen ist ein Potpourri von Crowdfunding, Sinnhaftigkeit von Reviews, Touren, Musikschule und Tipps für den Nachwuchs. An dieser Stelle noch einmal ein großes Dankeschön an Jen Majura für dieses ausführliche Interview! Wer noch mehr über sie wissen will, kann ja mal einen Blick auf ihre Homepage werfen oder sie bei Facebook besuchen. Bevor es losgeht, könnt ich euch aber noch anschauen, wie Jen den Titelsong ihres Soloalbums performt:
Jen Majura – der Workaholic
MH: Hallo Jen. Ich bin der Jörg (MH) aka soundchaser von metal-heads.de. Vielen Dank erst einmal, dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Gitarristin bei Evanescence, eine eigene Musikschule in Brilon und dann noch das zweite Soloalbum „InZENity“ komponiert und aufgenommen… Hat dein Tag mehr Stunden?
Jen Majura (JM): Ich bin ein wirklicher Workaholic, das dürfte inzwischen nicht nur meinen Freunden und meiner Familie klar sein. Ich arbeite gern, hart, rund um die Uhr – und wenn die 24 Stunden nicht ausreichen, arbeite ich noch die Nacht durch haha. Ich mache all das aus Passion und auch wenn es mein „Beruf“ ist, ist es für mich doch mehr Lebensinhalt und Leidenschaft als einfach nur „Brötchen verdienen“! Gerade bei einem Solo Album arbeitet man meist gefühlte 500% und in den meisten Fällen verdient man fast nichts daran, bzw. zahlt eher drauf. Mein Jahr 2017 war relativ vollgepackt: Nicht nur haben wir mit Evanescence das neue Album Synthesis in Fort Worth aufgenommen und ein Video zur Singleauskopplung „Imperfection“ in Los Angeles gedreht haben, wir waren auch auf Tour in Südamerika, Europa und fast zweieinhalb Monate am Stück in den Staaten. (btw. ich sitze grade im Flieger zurück nach hause nachdem wir gestern die letzte Show für dieses Jahr in Portland, Oregon gespielt hatten). Ich habe ein unfassbar schlechtes Gewissen meinen ganzen Gitarren- und Gesangsschülern gegenüber, die ich dieses Jahr nur ein paar mal unterrichten konnte in meiner Musikschule. Meine kleine aber feine Musikschule in Brilon ist für mich wie ein erdender Ruhepol, gerade wenn man von einer großen Tournee zurück kommt, auf der man tolle Shows vor tausenden von Menschen spielen kann, alle täglich deinen Namen schreien und man non-stop von Menschen, Freunden, Fans und Kollegen umgeben ist.
MH: Nicht nur, das „InZENity“ komplett in Eigenregie entstanden ist. Du hast es auch noch selber selber mittels einer Crowdfunding-Kampagne finanziert. Was war der Grund dafür?
JM: Mein zweites Soloalbum InZENity mit einer Crowdfunding Kampagne zu finanzieren war für mich eine grandiose Sache, obgleich ich mit nur etwa einem viertel des letztendlichen Betrages gerechnet hatte (haha). Es ging auch nie primär um die finanzielle Geschichte, es ging mir ab Anfang an eher darum den Fans etwas zurück geben zu können, ihnen eine Möglichkeit zu bieten bei der eigentlichen Entstehung des Albums mitwirken zu können. Daher fand man Dinge wie „handgestrickte Socken“, „Bühnenschuhe von meinem ersten Evanescence Konzert 2015 in Nashville“, ein Wohnzimmerkonzert und weitere relativ unkonventionelle illustre Perks in meiner Kampagne. Crowdfunding ist für mich die engste und persönlichste Verbindung, die ich zu Fans herstellen kann und ich wollte nicht einfach ein fertiges Produkt abliefern, das anschließend einfach käuflich erworben werden konnte – ich wollte, dass InZENity mit allen meinen Freunden, Kollegen und Fans zusammen entsteht.
Jen Majura – über InZENity und die Reaktionen
MH: Das Album ist jetzt seit Ende November auf dem Markt. Wie sind die Reaktionen bisher darauf ausgefallen und bist du zufrieden damit?
JM: Okay, mal ganz ehrlich – ich hatte erwartet, dass die Welt viel geschockter ist! Bei InZENity hatte ich mir einfach gesagt, dass ich mir von nichts und niemandem vorschreiben lasse, was ich tun und was ich nicht tun kann bzw. darf. Ich selbst halte das gesamte Album für ein unglaubliches Genrepotpourri von Rock, über Pop, Funk, Metal bis teilweise hin zu sogar jazzigen Elementen. Großartig! Das wird die Welt in völliger Verblüffung erstarren lassen, dachte ich – doch da lese ich die ersten Reviews und das Album wird mit Lob überhäuft, gerade weil ich mich nicht den Genres anpasse und mich in eine Schublade schieben lasse mit InZENity. Ich bin erstaunt, aber ich bin sehr sehr glücklich und vor allem bin ich eines: ganz doll stolz!!!
MH: Unser Redakteur Kjo fand in seinem Review sehr lobende Worte für die Aufmachung von „InZENity“, wünscht sich aber für das nächste Album weniger Stilwechsel und eine mehr durchgängige Ausrichtung. Hier gehen die Meinungen auseinander. Mir persönlich hat der Abwechslungsreichtum sehr gut gefallen? Aber warum und was steckt hinter dieser Stilvielfalt?
Musikalische Vielfalt als Inspiration
JM: Ich sage immer, dass man die Scheuklappen mal beiseite legen sollte, denn ich bin in der Lage von fast jeder Musikrichtung etwas zu lernen, etwas zu entdecken bzw. etwas wertschätzen zu können, solange ein Musikprodukt passioniert und ehrlich gemacht ist. Ich höre selten Musik in meiner Freizeit, aber wenn ich dies tue, erstreckt sich meine Playlist von Death Metal zu Beethoven, von Hard Rock zu Pop und von Thrash Metal zu Grunge und Dubstep. Sobald man als professioneller Künstler unterwegs ist, wird einem allerdings gern und häufig ein Genre-Stempel aufgedruckt, man möge doch bitte in der Sparte komponieren, zwar kreativ arbeiten und vor allem im festgelegten Genre bleiben. Viele meiner Freunde spielen in weltweit tourenden (Death) Metal und Hard Rock Bands, hören privat aber dennoch gerne Abba oder Lady Gaga. Ich denke die Welt braucht mehr Offenheit für Musik generell. Man sollte sich von den Genre-Sparten lösen, es geht um Songs, Musik und Emotionen, viel mehr als um CD-Regale im Supermarkt.
Jen Majura über Reviews und Touren
MH: Jetzt würde ich den Spieß gerne einmal umdrehen und dich nach deiner Meinung zu Reviews fragen und zwar zweigeteilt. Einmal aus der Sicht des Künstlers und einmal aus marketingtechnischer Sicht. Fangen wir mit der Künstlerseite an… Liest du dir Reviews durch und nimmst dir Kritik zu Herzen? Und machen Reviews – ob print oder online – für dich als Künstler heute noch Sinn, wenn man als Fan doch eh schon selber alles selber auf YouTube vorher anchecken kann?
JM: Reviews online oder in print sind immer interessant – und Du kannst mir erzählen was du willst, JEDER Künstler liest neugierig Reviews zu seiner eigenen CD und ist gespannt ob der Schreiber die Platte mag oder nicht. Ich lese Reviews zu InZENity gerne und die Resonanz ist überwältigend. Wie gesagt, ich hatte erwartet, dass die Welt viel geschockter von InZENity sein würde – hahaha. Ich hatte 2 oder 3 Reviews gelesen, bei denen der Schreiber klar und absolut überhaupt nicht verstanden hatte, um was es bei InZENity geht – Kritiken wie „das ist ja viel zu wirr“, „was ist denn das für eine fürchterliche Achterbahn an Musik Stilistik…“ sind in diesem speziellen Fall – …Komplimente für mich und bringen mich zum Schmunzeln 😉
MH: Okay, die Business-Seite… Wie würdest du hier die Sinnhaftigkeit von Reviews bewerten? Und gibt es für dich da einen Unterschied zwischen print und online?
JM: Der einzige Unterschied zwischen print und online Reviews ist, dass ich nicht ganz so doll aufgeregt bin, wenn ich auf einen Link klicke, als wenn ich im Zeitungsladen stehe und nervös nach der Review-Seite in einem Magazin suche und hin und her blättere. Des Weiteren drucke ich mir keine Onlinereviews aus, sammle allerdings schon Printreviews, Interviews, Berichte usw. Und natürlich freut man sich wenn man die Meinung eines Menschen erfahren darf, der sich intensiv mit der eigenen Musik befasst hat. Ob Reviews allerdings die breite Masse dazu bewegen eher meine CD zu bestellen, statt irgendeine Kommerzscheibe, das will ich schwer bezweifeln.
Viele Bands konkurrieren um die Zuschauer
MH: Um noch einmal einen Blick auf die andere Seite des Vorhangs zu werfen. Im November und Dezember finden so viele Konzerte statt, mitunter konkurrieren die Bands in einer Stadt am gleichen Tag um Besucher. Als Fan hat man da weder die Zeit noch das Geld alles zu besuchen, was man gerne möchte. Wie nimmst du das wahr?
JM: Während unserer letzten US-Tour mit Evanescence, die ja gerade zu Ende gegangen ist, waren wir unter anderem in Denver. Ich kam aus dem
Hotel und wollte kurz zum Tourbus, der draussen am Hotel parkte. Wir hatten auf dieser Tournee 3 Nightliner für Evanescence – doch plötzlich standen da 5 Busse vor dem Four Seasons Hotel und ich war verwirrt. Wie nehme ich es also wahr, dass im Nov/Dez viele Bands parallel touren? Super – ich bin beinahe aus Versehen in den Nightliner von Alter Bridge gestiegen, die ebenfalls in Denver im selben Hotel wie wir waren. Anderes Beispiel war, als wir einen Off Day in Philadelphia hatten: Arch Enemy waren zeitgleich auf Tour, spielten zufällig an diesem Tag in einem Club 10 Minuten von unserem Hotel entfernt und so konnten mein Guitar Tech Marc und ich, Alissa und die Jungs besuchen an unserem freien Tag, was super cool war. Man schaut ja fast regelrecht an Off days, ob irgendwelche Kumpels oder Freunde in derselben Stadt spielen. Immer schön sich on the Road zu treffen und auch mal andere Musik zwischendurch zu hören und zu erleben.
MH: Mit Evanescence bist du ja weltweit unterwegs. Gibt es da Unterschiede, wie ihr den verschiedenen Ländern empfangen werdet, fühlen sich die Shows was das Publikum angeht anders an?
JM: Evanescence hat eine unfassbare weltweite passionierte Fanbase. Es gibt bestimmte Regionen/Länder, in denen Fans bandunabhängig eine bestimmte Art zu reagieren haben. Ich denke da würden mir viele Kollegen zustimmen. Japan ist diszipliniert, passioniert auch für Instrumentalmusik, applaudiert wie ein rauschendes Meer nach einer musikalischen Darbietung, um eine Sekunde darauf wieder ganz aufmerksam ruhig auf den nächsten Song zu warten. In Südamerika kommst Du auf die Bühne und hörst dein eigenes Instrument nicht mehr, da das Publikum ohrenbetäubend laut ist! In einigen Ländern steht das Publikum wie eine Zombie Apokalypse stumm vor der Bühne, völlig reaktionsfrei und anschließend erzählen sie Dir, dass es das beste Konzert ihres Lebens war. In Bezug auf Evanescence allerdings haben alle Fans auf der ganzen Welt eines gemeinsam: Sie sind liebenswürdig verrückt, unglaublich passioniert und ehrlich euphorisch.
Jen Majura über Musikunterricht und die Erfolgsformel
MH: Hast du für die Zukunft noch einmal eine Zusammenarbeit mit Adrian Weiss geplant?
JM: Adrian und ich sind seit über zehn Jahren befreundet und ich schmunzele immer noch, wenn ich an den Unterwasser Videodreh zu „Completely Cut Loose“ zurück denke. Was hab ich mir dabei nur gedacht? Ich weiß noch genau wie das entstanden ist: Wir saßen gemeinsam beim DONG Open Air im Backstage, er spielte mit seiner Band Gloryful und ich war einfach als Gast dort. Er fragte mich, ob ich mir unter Umständen eventuell vorstellen könnte, zu unserem Song ein Video zu drehen und ich sagte sofort „Ja!“. Dann meinte Adrian, dass wir einen kleinen Venue mieten und dort ein Live Performance Video drehen könnten. Ich meinte, das sei langweilig. Er fragte „Hast du eine andere Idee?“ Und ich sagte „Ja! Lass uns unter Wasser Gitarre spielen!“ – S t i l l e – Ich schätze Adrians Gitarrenspiel sehr und würde super gerne wieder mit ihm arbeiten. Momentan konzentriere ich mich allerdings voll und ganz auf die Evanescence Synthesis-Welttournee, die uns im Februar nach Australien und anschließend im März und April nach Russland und Europa bringen wird. Evanescence halten mich gut auf Trab und da bleibt kaum Zeit für anderes momentan – leider und Gott sei dank! haha.
MH: Als Leiterin einer Musikschule und erfolgreiche Profimusikerin, hast du da einen Tipp für all die jungen, aufstrebenden Musiker parat? Oder würdest du generell eher von dem Versuch abraten seinen Lebensunterhalt als Musiker verdienen zu möchten?
JM: Viele fragen mich immer nach der „Geheimformel zum Erfolg“ und wenn ich darüber nachdenke, ist es eigentlich nur die Einstellung und Attitüde zu der gesamten Sache an sich: Ich habe nie Gitarre gespielt, weil ich berühmt werden wollte, auch nicht weil ich First Class fliegen wollte oder in 5 Sterne Hotels übernachten wollte. Ich habe es nie als „Hausaufgabe“ oder „Muss“ empfunden nach der Schule Gitarre zu spielen und zu üben. Musik ist es, was mich am Leben hält, was meinem Leben Sinn gibt, klingt ziemlich abgedroschen und kitschig, aber es ist so – der Antrieb sollte immer die Leidenschaft für das innere Verlangen kreativ arbeiten zu können sein – nicht das Ziel ein reicher Rockstar zu sein. Das ist mit der Lage des heutigen Musikbusiness ohnehin fast nicht mehr möglich. Wer hart und konstant immer 100% gibt, sein Leben dem Dasein als Musiker opfert, der wird früher oder später die Früchte seiner Arbeit ernten können. The good will not come to those who wait, the good will come to those who work their ass off.
MH: Um beim Thema zu bleiben. Warum sollten Eltern ihr Kind überhaupt auf eine Musikschule schicken? Reicht denn nicht der reguläre Musikunterricht an den Schulen?
Kann man in der Schule noch vernünftig Musik lernen?
JM: Der reguläre Musikunterricht an Schulen in Deutschland ist größtenteils leider eine Katastrophe. Ich war gesegnet mit einem sehr guten Musiklehrer während meiner Zeit im Musikleistungskurs bis zum Abitur, aber leider sind solche Lehrkräfte heutzutage eher eine Rarität. An vielen Schulen wird der Musik- und Kunstunterricht halbjährlich aufgeteilt, d.h. einige meiner Schüler bekommen teils für ein halbes Schuljahr noch nicht mal mehr Musikunterricht an deren Schule. Mir ist wichtig, dass ich meinen Schülern nicht einfach nur Noten beibringe, sondern Emotionen, Bilder, das Gefühl für Musik und den Spaß vermitteln kann. Einmal jährlich, wenn es mein Tourplan zulässt, veranstalten wir ein Vorspiel bei dem unsere Schüler als Bandformation Songs von Motörhead oder Mötley Crüe zocken – Spaß soll es machen, dann kommen der Biss, das „Arschbacken zusammenkneifen“ und der Eifer von ganz alleine…
MH: Bei metal-heads.de ist es üblich, dass das letzte Wort immer dem Künstler gehört. Was willst du unseren Lesern und deinen Fans noch gerne mitteilen? Ich bedanke mich schon mal für das Interview und wünsche dir weiterhin viel Erfolg!
JM: Wir leben in einer so unfassbar ernsten Welt, einfach mal herzlich lachen und jeden Tag eine gute Tat tun. Die negativen Vibes eliminieren und immer positiv nach vorne schauen – das ist mein Lebensmotto!
Vielen Dank für das Interview und auf ein frohes 2018!
[amazonjs asin=“B075FPL9L9″ locale=“DE“ title=“Inzenity“]
NEWSLETTER. FREITAGS. KOSTENLOS.
Bildquellen
- JenMajura_InZENity_Cover: amazon.de
- Evanescence – Palladium 2017 – Amy Lee-16: Bildrechte beim Autor
- Jen Majura – InZENity (Bereits VÖ): amazon.de
Neueste Kommentare