VINNIE MOORE – Der Rockexperte gibt Gas auf „Aerial Visions“ (VÖ: 23.10.2015)

Virtuose Gitarrenmusik hat es heutzutage wahrlich nicht leicht Abnehmer zu finden – die Nische wird stetig kleiner. Da heißt es für die Käuferschar genau auszuwählen. Wer also neben Shredding auch auf der Suche nach Songstruktur und Melodie ist, wird bei Vinnie Moore schnell fündig. Vinnie ist ein Veteran in dem Business, der wie immer mit einem guten Gespür für die richtigen Noten und vor allem der richtigen Menge an Noten bei „Aerial Visions“ zu Werke geht.
The Vinman der Komponist
Gerne erinnere ich mich daran zurück, wie ich als Jugendlicher auf der Suche nach dem Geheimnis des Schnellspielens war und mir in meiner „Not“ vom Munde Vinnie Moores Lehrvideo „Speed, Accuracy And Articulation“ absparte. Schon damals nahm mich sein ultra fließendes Spiel gefangen und mir wurde schnell klar, dass es The Vinman nicht um Geschwindigkeitsrekorde ging, sondern um echte Songs! Viele Jahre sind seitdem vergangen und mit dem vorliegenden Album „Aerial Visions“ entfernt sich Vinnie gänzlich von den zuletzt weniger gewordenen neoklassischen Einflüssen und tendiert zu handfesterem, Groove orientiertem Rock.
Der Spagat zwischen UFO und Soloprojekt
Moore selbst sagt, dass er sich auf seinen Soloalben facettenreicher präsentieren kann, als er das z.B. in seiner Hauptband UFO könnte. Doch Vorsicht ist geboten, wirken doch genau solche Alben schnell wie eine Präsentationsschau der handwerklichen Künste. Vinnie Moore umgeht genau diese Gefahr recht gut auf seinem neuesten Output.
Der Rock Express gibt Gas
Der Opener „Mustang Shuffle“ empfängt uns mit einem Texas Blues mäßigen Intro. Rauchig rau rockt die Dean Strat, dass es eine Freude ist zuzuhören wie dieser Express ins Rollen gerät. Der Mustang Shuffle ist ein cooler Track mit gutem Groove und Rhythmen. Keyboards sind hier Fehlanzeige und das verschafft dem Album noch etwas mehr Rock Attitude – gut so! Auf dem Halstonabnehmer feuert Vinnie gekonnt los und führt uns mit einem wiederkehrenden Open String Lick zum Refrain. Die Dur Arpeggios bleiben im Gedächtnis und nicht nur dieser Song weist eine wirkliche Songstruktur auf. Nach dem Breakdown geht es ins Solo und hier brennt Vinnie Moore super saubere Legatoläufe ab. Eines seiner prägnanten Markenzeichen, nämlich das gekonnte Zupfen von Pedaltone Licks darf natürlich nicht fehlen und empfängt uns zum Ende des Solos.
Die zweite Nummer „Now’s The Time“ erinnert stark an Lockenkopf Blues Saraceno. Weit gesteckte mixolydische Arpeggios bilden die Basis der Melodieführung und das Main Riff könnte glatt aus der Alice In Chains Schmiede stammen – allerdings mit positiver Attitüde. Getappte Arpeggios auf den Basssaiten, ein offener Refrain und fein dosierte Dronen Licks mit offen klingenden Saiten runden das Ganze perfekt ab. Hier fällt auf, dass der Vinman bevorzugt mit „nur“ angerocktem Sound zu Werke geht und uns von synthetisch klingenden Modulationssounds verschont – das ist cool! Die Mitmusiker Rich Monica (dr) und Dave La Rue (b) präsentieren sich auf diesem Stück, wie auf dem gesamten Album, ebenfalls in Höchstform.
Moores Gitarre klingt durchgehend transparent und holzig, und liefert uns eine tolle Blueslinie nach der nächsten.
Alte Stärken
Auf „Faith“ hören wir dann zum ersten Mal den alten Vinnie Moore. Er baut eine starke Melodie auf, die er mit schönen Bendings ausschmückt. Gekonnt nimmt er sich Zeit für den Songaufbau und verfolgt eine Art folkloristisch klingenden Ansatz. Die wenigen Noten geben dem Stück Luft zum Atmen. Zum Solo kommt überraschend ein absolut rhythmischer Kopfnicker. Das Solo selbst ist interessant phrasiert und führt uns dann wieder zurück zur Titelmelodie.
Funkiger Rundumschlag
„Slam“ ist ein wirkliches Funk-Feuerwerk und der Mittelteil erinnert einen stark an Extremes „Get The Funk Out“. Rhythmisch klasse aufgebaut und natürlich auf den Punkt gerockt. Der Song entwickelt sich schnell zu einer kleinen Rundumschau, so gleitet Moore nach dem Refrain in Phaser getränktes Funk Spiel ab, das mit perkussivem Anschlag glänzt.
Dieses Cover verdient „nur“ einen Schnurbart!
Mit dem Cover von ZZ Tops „La Grange“ tritt Moore in große Fußstapfen. Das Wah Wah Pedal in der Heel Position spielend leitet Vinnie nach dem allbekannten Intro den Song ein, dabei klingt die Gitarre ähnlich einer verzerrten Bluesharp. Es folgt harmonisches Slidespiel – bei Moore könnte es aber auch gut sein, dass er den Slide irgendwie mit dem Whammybar simuliert, à la Michael Lee Firkins. Dieses Cover hat gewiss bis zur Hälfte Potenzial und versprüht Staub und Dreck, dann wird allerdings sehr viel soliert und das Stück verliert ein wenig den Bezug zum Original und entgleist dem Saitenhexer Zunehmens – zum „langen Bart“ der Vorbilder reicht es hier dann leider nicht, aber immerhin ist es ein stattlicher Schnurbart .
In gewohnter Manier spielt sich der Ausnahmegitarrist durch die insgesamt 10 Stücke und hinterlässt immer wieder markante Parts, die man gerne nochmal „zurückspult“ und diverse Male hört.
Das große Finale
Der Abschluss Track wird langsam und akustisch eingeleitet. Die typischen Zutaten für so eine Nummer werden uns hier als interessierte Hörer natürlich geboten. Mit gebendeten Double Stops geht Vinnie kernig ins Solo und bietet uns viel Abwechslung. Schön ist hier, dass die akustische Begleitung weiterhin als Unterlegung erhalten bleibt und auch mit dynamischem Strumming den Song belebt. Die Dramaturgie des Stückes ist wirklich gut angelegt. Es wechseln sich druckvolle Parts mit eingängigen Melodien ab und akustische und elektrische Gitarre spielen Teile der Passagen unisono. Mit Abstand die kompositorisch stärkste Nummer, welche dann, gerade wenn man meint sie sei zu Ende, nochmal gewaltig Fahrt aufnimmt und alle Beteiligten einlädt sich zum Finale noch einmal auszutoben und ohne angezogene Handbremse Gas zu geben – hier rettet uns nur noch der Fadeout.
Im Dschungel der Shredder wäre eine Rockröhre angebracht
Der Altmeister lässt sich natürlich nicht lumpen und präsentiert mit seinem selbstproduzierten „Aerial Visions“ ein handwerklich einwandfreies Album. Man wird allerdings das Gefühl nicht los, dass Vinnie Moore gerade im letzten Drittel des Albums eine Unzahl an sahnigsten Riffs zaubert, die förmlich nach einer richtigen Rockröhre schreien. Die Luft im Gitarrenolymp ist dünn und es wachsen derzeit viele Shredder heran die die Szene mit neuen Impulsen beleben. Moore präsentiert hier zwar sein ganzes Talent als Komponist und unterstreicht noch einmal eindringlich, dass er auch Einflüsse fernab der Shreds und Gitarrentums verinnerlicht hat, dennoch würde den Songs „frischer Wind“ sicherlich gut tun. So wirkt dieser Ouput ein klein Wenig eingestaubt, bildet aber trotzdem eine wertvolle Ergänzung in der heimischen Sammlung.
Mehr Infos zum Künstler findet ihr unter www.vinniemoore.com
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Bildquellen
- Vinnie Moore: www.amazon.de
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