Die Ärzte in den Tagesthemen: ein Aufschrei nach Liebe für die Kulturbranche
Premiere im Ersten Deutschen Fernsehen! Die Berliner Spaß-Punker Die Ärzte durften am 23.10.2020 als erste Band live die Nachrichtensendung „Tagesthemen“ in der ARD eröffnen. Was wir von metal-heads.de darüber denken? Lest das Essay des Chefredakteurs.
Die Ärzte in Schlips und Anzug
Ein ungewohntes Bild: Sänger Farin Urlaub, Drummer Bela B. und Bassist „Rod“ Rodrigo Gonzáles in seriösem Anzug an einem Freitagabend zur besten Sendezeit live im Fernsehstudio. Das Bild suggerierte eine gewisse Ernsthaftigkeit des berühmten Musik-Trios. Und das zu Recht. Denn Die Ärzte hatten in dem über 12-minütigen Beitrag einiges loszuwerden.
Über die Lufthansa und Ich-AGs
Existenzängste eine ganzen Branche, der Kultur nämlich, würden einfach ignoniert. Warum die Lufthansa immer unterstützt wird und die 4 Millionen Ich-AGs, angefangen vom Roadie bis zum selbstständigen Tontechniker, hingegen nicht? Dies waren sehr berechtigte Fragen. Der Moderator wollte gerade versuchen, die unterschiedlichen Überbrückungshilfskredite ansatzweise zu erläutern, als Farin Urlaub ihn unterbrach und die Art und Weise der Darstellung durch die Band mit den Worten „Wir sind hier zum Vereinfachen“ erklärte. Das gesamte Interview haben wir hier für parat:
Spaßfaktor nur in der Intro
Ein wenig Humor ließen sich die Berliner aber doch nicht nehmen. Das Intro-Jingle der Tagesthemen-Sendung vertonten Die Ärzte mit Schlagzeug und Stromgitarren und änderten fluchs die obligatorischen Begrüßungsworte in „Hier ist das Ärzte Deutsche Fernsehen mit den Tagesthemen.“ Dies hatte schon ein wenig was von Fips Asmussen und Heinz Erhardt. Noch einmal anzuhören ist der Sendungsbeginn hier:
Was sagen wir dazu?
Einerseits finden wir von metal-heads.de es natürlich toll, dass die in den vergangenen Monaten nahezu komplett von Politik und leider auch Gesellschaft ignorierten Sorgen und Ängste der Unterhaltungsindustrie nun endlich einmal medial gehört und geteilt werden. Hierdurch wird dieses Problem hoffentlich und berechtigterweise verstärkt Aufmerksamkeit erhalten und die Politik gezwungen, sich intenstiver und individueller den Sorgen der Künstler und Selbstständigen in diesem so wichtigen Metier anzunehmen. Doch genau hier liegt auch die Kehrseite der Medaille: es ist endlos traurig, dass über Monate hinweg jedem Industrie- und Gewerbezweig – vielleicht mit Ausnahme der Prostitution – nach dem Gießkannenprinzip mit viel Geld seitens der Politik geholfen wurde. Nur eben nicht einer der umsatzstärksten Bra(n)chen Deutschlands: der Kultur- und Unterhaltungsindustrie.
Der Roadie ohne laufende Kosten
Schlagzeuger Bela B. brachte es in der Nachrichtensendung daher auch konsequent auf den Punkt: wie soll ein selbstständiger Roadie, der lediglich seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt, jedoch keine laufenden Kosten – etwa für Büromiete oder Arbeitnehmer – hat, einen Antrag auf den Zuschuss von 9.000 € stellen? Er weiß ja, dass er diesen zurückzahlen muss, weil er eben nicht antragsgemäß notwendige Angaben über laufende Aufwendungen nachweisen kann. Die Muskelhypothek im Hausbaukredit ist im Jahr 2020 leider leichter nachzuweisen als die in einem Antrag auf Corona-Sofortbeihilfe.
Was also muss passieren?
Ohne staatliche Hilfe werden in diesem Herbst und Winter viele Lichter aus- bzw. im kommenden Frühjahr nicht mehr angehen, was uns als gemeinnütziger Verein, der Kunst und Kultur fördert, unendlich weh tut. Daher könen wir euch nur alle aufrufen, aktiv zu werden. Es gibt tolle, unterstützenswerte Initiativen wie die Alarmstufe Rot. Aber auch die Politik kleiner Schritte – natürlich ganz ohne politische Hilfe – ist nachahmenswert. Nehmen wir als Beispiel den Paderborner Kultur-Soli, der aus Spendengeldern finanziert wird. Auch ihr könnt was tun: bestellt Online-Merch von euren Lieblingsbands. Aber nicht bei den großen Versandhäusern, sondern bei euren lokalen Bands in deren Internet-Shops. Ordert CD´s und LP´s, wenn ihr es euch leisten könnt. Wir sollten dankbar sein für unsere vielseitige, einzigartige Kulturlandschaft. Und wir sollten jetzt endlich nach Monaten der Corona-Schockstarre aufwachen und – wenn wir es uns leisten können – wirklich unsere local scene unterstützen. Kauft Helfershirts von euren Clubs und Veranstaltungshallen vor Ort oder spendet dort, wo es wirklich ankommt. Seid kreativ!
Unsere Hoffnung
Ansonsten bleibt zu hoffen, dass die Wissenschaft uns in 2021 mit einem Impfstoff versorgen wird, falls Donald Trump einmal nicht recht haben sollte und Corona doch nicht einfach wieder verschwindet. Was sehnen wir uns nach dem ersten Besuch eines Live-Konzerts nach Corona. Nach gemeinsamen Festival-Erlebnissen, so wie z.B. in 2019 bei Rock am Ring. Damals traten Die Ärzte noch live auf (nachzulesen hier), und nicht, wie am 23.10.2020, nur in den Tagesthemen. Um aber jetzt nicht in totale Grabesstimmung zu verfallen, gibt es hier für euch noch den Komiker Otto Waalkes beim Unboxing der neuen Ärzte-Platte „Hell“ , die ebenfalls am gestrigen Freitag Premiere hatte:
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Bildquellen
- Rock am Ring 2019 – DIE ÄRZTE – 036: Bildrechte beim Autor
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