Rückblick auf Konzerte und Interviews 2024
KALANDRA, LiLi Refrain, MÚR, Kimmo Kuusniemi, ROCKET MEN, Lindy-Fay Hella und Christine Kammerer
In 2024 gab es nicht nur tolle, großartige, interessante abwechslungsreiche Alben (über die Qual der Wahl und die Alben die ich letztlich ausgewählt habe), sondern auch sonst noch Neues und Neuigkeiten, viele erlebnisreiche Ereignisse und interessante Gespräche.
Die Konzerte
KALANDRA und LiLi Refrain in Köln: ein Konzert, das noch lange nachgeklungen hat
KALANDRA haben im September das Album „A Frame of Mind“ herausgebracht (review) und sind im Herbst auf eine Tour mit 30 Shows gegangen. Der Tourauftakt war in Köln. Dort haben sie mit 15 Songs ein langes Set gespielt, das nie an Spannung nachließ. KALANDRAs Musik ist Rock auf orchestraler Basis, der von nordischem Folk durchzogen ist. Die Texte handeln von aktuellen, aber auch grundsätzlichen Themen. So geht es z.B. um Überlegungen zum Zustand der Welt („The State of the World“) oder wie wichtig es ist, jemanden zu haben, mit dem man reden und etwas teilen kann („Ensom“).Mich hat sehr gefreut, dass sie auch „Bardaginn“ meinen Lieblingssong vom neuen Album gespielt haben. Es ist ein Nordic-Folk-Song, der unglaublich dicht, kraftvoll und dynamisch ist. Voll mit tollen Leads, großartigem Drumming und schweren Riffs.
Den Anfang machte an diesem Abend LiLi Refrain, eine Künstlerin, deren psychedelisch-rockige Folk-Metal-Musik ich sehr schätze. Sie verwendet auch bei ihren Bühnen-Shows ausschließlich Real-Time-Loops, ohne vorher aufgenommene Passagen. So entstehen die Songs in den Shows immer wieder neu. Mit Klängen, die ineinander übergehen und nach und nach poetische, unheimliche und komplexe Strukturen entstehen lassen. Und diese Strukturen durchdringt LiLis sirenenhafter, lyrischer Gesang.
MÚR: kraftvoll bis verspielt – und immer voller Enthusiasmus
Im November waren MÚR in Köln (als Support für WHEEL). MÚR sind eine isländische Band, die die isländische Wacken Metal Battle (2022) gewonnen haben und gerade erste ihr Debüt-Album „Múr“ herausgebracht hatten. (review)
Die Bühne war in rotes Licht getaucht, wabernde Klänge eröffneten den Song „Heimsslit“ und füllten schnell den ganzen Raum. Es entstand ein Eindruck von Leere, die gleichzeitig eine Sogwirkung hat. Dumpfe Bassklänge, doomiges Riffing und infernalische Vocals schaffen eine dystopische Atmosphäre. Die donnernden Drums bauen zusammen mit harten Riffs eine Soundwand auf, die immer konkreter und massiver wird. Bis wieder wundschöne sphärische Klänge überwiegen, die dann aber in ein trostloses und dennoch gewaltiges Finale münden. Ich fand es mutig, dass sie ihr Set mit einem 10-minütigen Song begonnen haben. Doch der begeisterte Applaus zeigte, dass sie das Publikum von Anfang an mitnehmen konnten. Auch der Rest des Sets war eine großartige Wanderung zwischen roher Energie und verspielten Klängen, hämmernden djentigen Strukturen und abgefahrenen Rhythmen.
Interviews
Das waren einige spannende, lange, anregende und informative Gespräche mit engagierten,interessanten und angenehmen Gesprächspartnern.
Kimmo Kuusniemi: über Nachhaltigkeit, Überraschungen und persönlichem Ausdruck statt Perfektion
Das Jahr begann mit dem Interview mit Kimmo Kuusniemi, den einige von euch wahrscheinlich durch seine Band SACROFAGUS kennen. Anlass für das Interview war sein Projekt ANCIENT STREAMING ASSEMBLY, einem Cross-Arts Projekt, das er zusammen mit Tuomas Rounakari (KORPIKLAANI, Shamanviolin) auf den Weg gebracht hat. Es ist ein intermediales Projekt, das sich im weiten Sinne mit Umweltschutz beschäftigt. Wir haben uns lange unterhalten: über das Verhältnis des Menschen zur Umwelt und dem sich daraus ergebenden Umgang mit ihr, den Möglichkeiten von Film und Musik als Medium von Dokumentation, Information, Anregung und Herausforderung zum Nachdenken. Es ging auch um Dystopien, digitale Möglichkeiten und um die Möglichkeiten des Einzelnen, Einfluss zu nehmen, sowie die Untätigkeit von Verantwortlichen, die Veränderungen in der Umwelt anzuhalten.
Und auch um Musiker wie Tuomas Rounakari, Steve di Georgio und Esa Kotilainen, die in der einen oder anderen Weise an ASA beteiligt sind.
Kimmo hat davon erzählt, dass er bereits in den 1980er Jahren Filme zum Umweltthema gemacht hat. Z.B. 1991 mit „Dream On“ ein Musikvideo als Warnung vor einer Umweltkrise, die heute Realität geworden ist. Aber die Menschheit hat nicht schnell gehandelt, sondern ist eher untätig geblieben. Er ist der Ansicht, dass wir am Rande des ökologischen Zusammenbruchs stehen, dass ständiges Wachstum nicht möglich ist und wir (zumindest in unseren Umgebungen) genug haben.
Wir sollten lernen, mit dem zufrieden zu sein, was wir haben. … Ich glaube, dass wir unsere auf Wachstum basierende Wirtschaft in eine nachhaltige umwandeln können, wenn wir alle wollen, dass sich etwas ändert.
Auch über Abwechslung, Überraschung und Perfektionismus gerade in der Musik haben wir gesprochen. Kimmo meint, dass Überraschungen wichtig sind, weil sich sonst nichts verändern kann.
Überraschungen und Abwechslungen sind wichtig, weil sich sonst nichts verändern kann. Für mich ist es langweilig, immer wieder die gleiche Musik zu machen, die gleichen Dinge zu tun. Wenn ich ein Solo spiele, ist es jedes Mal anders. Weil ich in diesem Moment nicht plane, was ich spiele, sondern einfach spiele. Zuletzt ist vieles in der Musik so technisch geworden und damit in gewisser Weise limitiert. Wenn die Fertigkeiten, das Perfekte im Vordergrund stehen und nicht der eigene Ausdruck.
Der Gedanke, dass Perfektion auch begrenzen kann, hat mir im Verlauf des Jahres auf unterschiedliche Situationen einen anderen Blick vermittelt.
ROCKET MEN: Musik, die nach Weltraum klingt
Das neue Album von ROCKET MEN „The Orbiter Sessions“, habe ich zum Anlass genommen, mich mit Philipp Püschel (Trompete) und Felix Dehmel (Schlagzeug) über das Album und den Entstehungsprozess, Storytelling, Weltraum, Veränderungen beim Publikum und über kommende Events zu unterhalten. (interview)
Nachdem geklärt war, dass sie sich nicht über Tinder, sondern durch die Musikschule kennengelernt hatten und wie sie zu ihrem Bandnamen gekommen sind, haben sie davon erzählt, dass zunächst die Musik da war und dann das Thema ‚Weltraum‘.
Aber es war nicht so, dass wir von Anfang an gesagt haben: wir wollen was mit Weltall machen. Sondern es war eher so: wir haben Musik geschrieben, die klang cool und irgendwie nach Weltraum.
Felix Dehmel
Die Musik, die wir schreiben und spielen, hat immer etwas von Weite und Ferne so dass es nach Weltraum klingt. Ich kann gar nicht beschreiben, welche Faktoren es sind, die das ausmachen, aber da wir viel Synthesizer und Keyboard in der Band haben, hat man viele Delays, viel Spielzeug, viel Space.
Philipp Püschel
Damit wird schon gut beschrieben, wie die Musik klingt. Aber auch die Geschichte, das Storytelling ist ihnen wichtig. Da sie ohne Lyrics auskommen, drücken sie dies durch den Titel und die Musik aus und lassen auf diese Weise intensive Bilder entstehen.
Für mich ist ‚der ROCKET MEN – Sound‘ die Ausgewogenheit zwischen Trompete, Saxophon, Schlagzeug und den Keyboards und Synthesizern sowie der Groove, die ‚Tanzbarkeit‘.
Oder wie Felix so passend sagt: „Aber ich glaube, bei uns spielt das authentische Element eine große Rolle und das Beat-Element. Man kann die Musik fühlen, als Groove, als Beat und man kann sich dazu bewegen.“
Also hört mal rein in das Album! Das Interview könnt ihr hier lesen.
Lindy-Fay Hella: Stimme, Sythesizer und dies Suche nach Unbekanntem
Ein Interview, auf das ich mich gefreut hatte, ist das mi tLindy-Fay Hella. Vielleicht kennt ihr sie als Sängerin bei WARDRUNA. Diesmal ging es aber um ihre andere Formation: Lindy-Fay Hella & Dei Farne und das Album „Islet“.(review)
Sie hat mir erzählt, welche Rolle DEPECHE MODE und insbesondere das Album „Black Celebration“ für sie gespielt hat und was sie an Synthesizern so fasziniert hat, dass sie sie selbst spielen wollte.
Wir haben uns auch darüber unterhalten, was Synthesizer und die Stimme als Ausdrucksmittel miteinander zu tun haben.
Lindy-Fay dazu: „Mit der Stimme kann man bewusst die Resonanz des eigenen Körpers nutzen, um den Klang zu manipulieren. Synthesizer waren jedoch auch eine Inspiration für mich beim Gesang. Bei bestimmten Synthesizern gibt es Filter, mit denen man den Klang selbst verändern kann, wie scharf oder gedämpft man ihn haben möchte, den Anschlag, das Sustain und das Release. All dies kann man auch mit der Stimme tun, außer mit den extrem tiefen und hohen Klängen.“
Denn der Kontrast zwischen den elektronischen Elementen und der ‚organischen Stimme‘ spielt auch auf „Islet“ eine wichtige Rolle. Damit kann die ständige Suche nach dem Unbekannten und die Neugier auf das, was die Natur, die Vergangenheit, Träume und das Universum zu bieten haben, auf eine spezielle Weise ausgedrückt werden.
Denn der Kontrast zwischen den elektronischen Elementen und der ‚organischen Stimme‘ spielt auch auf „Islet“ eine wichtige Rolle. Damit kann die ständige Suche nach dem Unbekannten und die Neugier auf das, was die Natur, die Vergangenheit, Träume und das Universum zu bieten haben, auf eine spezielle Weise ausgedrückt werden.
Daher brauchte sie für die Songs auf „Islet“ auch nicht viele Worte. Worte, Geschichten und Märchen spielen eine wichtige Rolle für sie und daher verwendet sie viel Zeit darauf, die für sie ‚richtigen Worte‘ zu finden. „Ich mag es, einfache und wenige Worte zu finden, da ich das Gefühl habe, dass dann verschiedene Geschichten aus diesen Worten entstehen können, je nachdem, was der Zuhörer daraus macht. Diese Worte müssen jedoch genau richtig sein. Ich mache normalerweise lange Spaziergänge, beobachte Dinge, lasse mich aber auch von Begegnungen mit Menschen inspirieren und so weiter. Und natürlich das Unbekannte, das Geheimnis des Universums. Die Eindrücke von einer Reise zum Beispiel. Es kann Monate dauern, bis die Geschichten in meinem Kopf Gestalt annehmen“ sagt Lindy-Fay. Und ich finde, dass man dies in den Liedern hört. Das ganze Interview gibt es hier.
Christine Kammerer: Nordische Mythologie und schottischer Whisky
Das Interview, das mir unglaublich viel Spaß gemacht hat, habe ich mit Christine Kammerer geführt. Wir haben nicht nur über ihr Album „Echoes of North“ gesprochen, sondern auch über die Veranstaltung „Whisky and Witches“. Denn Christine ist nicht nur Musikerin, sondern auch Whisky-Liebhaberin und Kennerin. (vollständige Interviews hier und dort)
Zusammen mit Jane Ross hat sie „Whisky and Witches“ ins Leben gerufen. Dabei handelt es sich um eine Whiskyverkostung, die Whisky mit seiner Geschichte und seinen Geschichten sowie der Rolle der Frauen bei der Whiskyherstellung, Liedern über die Region, aus der er stammt, und Liedern, die den Whisky selbst beschreiben, zusammenbringt.
Und was haben Hexen mit Whisky zu tun? Im 13. Und 14. Jahrhundert war die Herstellung von Whisky und Aquavitae Frauensache. Es gibt einen Zusammenhang zwischen den Hexenprozessen und dem Besitz und der Herstellung von Alkohol. Frauen, die Alkohol herstellten, wurden in dieser Zeit der Hexerei bezichtigt. Und „Hexe“ wurde zu einem Schimpfwort für Frauen, die eine tiefe Verbundenheit zur Natur hatten, die sich mit Naturheilmitteln und Heilkräutern auskannten und beispielsweise wussten, wie man daraus verschiedene Arten von Aquavitae, Lebenswasser, destilliert. Und hier spannt Christine – wie sie es musikalisch auch auf ihrem Album „Echoes of North“ macht – den Bogen zur nordischen Mythologie: „In der nordischen Mythologie gibt es die Völva. Sie war eine wichtige Figur in der gesamten Gesellschaft. Und sie wurde für ihre Ratschläge hochgeschätzt. Sie konnte vorhersagen, wie die Ernte ausfallen würde, wie die Winter verlaufen würden, was wir tun mussten, um die Gesellschaft für den Winter zu sichern, und warum Dinge schief liefen.“
Aus dieser Achtung wurde später die Dämonisierung dieser Fähigkeiten. Wenn ihr mehr darüber wissen wollt oder auch, welches der Lieblingswhisky von Christine Kammerer ist, lest das Interview.
Das waren die Konzerte und Interviews, die mir viele neue Impulse gegeben haben. Ich wünsche euch viel Spaß, wenn ihr das eine oder andere Interview lest und ansonsten viele neue Impulse im Jahr 2025!
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Bildquellen
- Kalandra Köln 11.9.24: birgit@metal-heads.de
- Lili Refrain Köln 11.9.24: birgit@metal-heads.de
- múr köln 27.11.24 – 14: birgit@metal-heads.de
- ASA_KimmoKuusniemi4: split screen management
- Rocket_Men_Portrait-1_Color: rocket men foto: Felix Kahlo
- Bergen, Norway.Lindy-Fey Hella & Farne during the shooting of the music video of new album ‚Islet‘.: ByNorse Music
- christine kammerer whisky and witches 2: christine kammerer
- konzerte und interviews 2024 (Birgit): @metal-heads.de
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