„Islet“ von Lindy-Fay Hella & Dei Farne
Lindy-Fay Hella & Dei Farne haben am 22.März 2024 das Album „Islet“ veröffentlicht
(English version below)
Gestern konntet ihr das Interview mit Lindy-Fay Hella lesen, in dem wir über ihren musikalischen Hintergrund und auch über „Islet“ gesprochen haben.
Und hier wie angekündigt die Review zum Album.
„Islet“
Lindy-Fay Hella & Dei Farne veröffentlichten am 22.März 2024 das Album „Islet“. Es ist nach „Hildring“ (2001) das zweite Album des norwegischen Duos. Bereits 2019 ist Lindy-Fay Hella, die viele von euch als Mitglied von WARDRUNA kennen, mit ihrem ersten Solo-Album „Seafarer“ ihren eigenen Ideen gefolgt.
Die Musik für „Islet“ entstand zum überwiegenden Teil während der Corona-Zeit. Lindy-Fay Hella und Roy Ole Førland haben in der Musik die Gedanken und Emotionen eingefangen, die in der Isolation entstanden sind.
Die Texte sind erst später hinzugekommen. Lindy-Fay wählte Portugal, ein Land, das sie noch nicht kannte, um sich inspirieren zu lassen. Sie ließ die Dinge auf sich zukommen und entdeckte dann eine kleine Insel (was dem Album den Namen gab) von der der sie fasziniert war. Diese kleine Insel im Ozean war ein magischer Ort für sie und ein Symbol dafür, dass es auch in einem Meer der Einsamkeit, feste und magische Orte gibt.
Melancholie und magische Momente
Das war mein erster Eindruck vom Album: es ist melancholisch, manchmal kühl und abweisend und dann wieder so nah, dass es bedrängend wirkt. Gleichzeitig ist es voller magischer Momente und Klängen wie nicht von dieser Welt.
Die Isolation hat vielleicht auch die Beachtung der Sinneseindrücke, die bei einem Spaziergang am Meer besonders spürbar werden, verstärkt. Die Musik nimmt das Gefühl von Sonne, Wind und Salzwasser auf der Haut, des Geruchs des Meeres, das Rauschen der Wellen mit auf. Und wer einmal bei Vollmond am Meer stand, wenn sich das Wasser mit der Ebbe zurückzieht oder der Flut zurückkehrt, hat dies vielleicht auch als magische Momente wahrgenommen.
Aber nicht nur das Erleben der Sinne spielt eine Rolle, sondern auch Träume – und ganz im Sinne folkloristischer Tradition – mythische Wesen und mysteriöse Orte.
Sphärische Klänge, erdende Melodien und ausdrucksstarker Gesang
Die Wirkung der Musik hat viel damit zu tun, dass hier verschiedene musikalische Ideen und Ansätze zusammenkommen. Und hier sind elektronische und folkloristische Elemente eine Verbindung eingegangen, die ungewöhnlich ist.
Synthesizer und die variationsreiche und ausdrucksstarke Stimme von Lindy-Fay Hella bilden die Basis und das Gerüst der Lieder. Dies wird mit Melodien, die von traditionellen Instrumenten gespielt werden, ausgefüllt.
Das Zusammenspiel und der gleichzeitige Kontrast der Präzision und sphärischen Klänge der Synthesizer mit der Bodenständigkeit und Wärme von Nyckelharpa, Hurdy-Gurdy und Harmonium macht die Spannung und den Reiz dieser Verbindung aus. Dadurch war es möglich, sowohl die Einsamkeit als auch das Verbundensein mit der Umgebung auszudrücken.
Lindy-Fay Hella nutzt alle Möglichkeiten der Stimme. Flüstern, sanfte Melodien, ätherischen Gesang, der über allem schwebt. Aber sie klingt auch bissig, kraftvoll und unheimlich. Losgelöst und dabei verletzlich, wobei sie zeitweise eine bedrängende Nähe herstellt.
Mit dem Text ist sie sehr sparsam umgegangen. Man kann sich auf die Musik einlassen und die Worte und Textzeilen als Impulse für eigene Gedanken nutzen,
Islet – Inselchen
Das Intro „Sintra“ nimmt uns mit an den Strand. Das Wasser wird gurgelnd an die kleine Insel herangespült. Stimmen klingen drängend und lockend aus der Ferne. Eine melancholische, traurige Melodie erzählt von Einsamkeit. All das klingt unwirklich, nicht von dieser Welt.
In „Dark Water“ spannen Synthesizer und Hammondorgel einen Bogen über das weite Meer und den endlosen Himmel. Die Trommeln sind wie das Licht am Horizont, am Ende der Welt, das gleichzeitig auch der Anfang ist.
Feen, Trolle, mythische Wesen – wir können sie nicht sehen, aber spüren ihre Gegenwart oder hören ihr Flüstern. Um sie geht es in „Whisper“. Ob es diese Wesen gibt oder nicht, ob man an sie glaubt oder auch nicht: jede Kultur hat Geschichten über sie. Und mit ihnen sind Ideen, Vorstellungen, Fragen und Antworten verbunden, die diese Kultur prägen.
In unserer gierigen Zeit, in der die kalten Hände des Kapitalismus alles an sich reißen, was in Sicht ist, ist die Existenz dieser Kreaturen bedroht”,
sagt Lindy-Fay
Daher ist ihr Flüstern hier wohl so eindringlich und erinnert an das Flüstern in der Luft, in den Bergen, im Wald auf das wir vielleicht wieder mehr hören sollten.
Im Traum reisen
„Low Water“ erzählt von den Gezeiten, ihrer Energie und Wirkung. Wenn man am Ufer des Meeres steht, sieht man, wie das Wasser Dinge heranbringt und bei seinem Rückgang andere zum Vorschein kommen.
In einer mondhellen Nacht wirkt dies unwirklich und kraftvoll zugleich. Die Geschichten, uralten Sagen von Menschen und Städten, die vom Meer verschlungen werden.
Und so tanzt Lindy-Fay Hellas Stimme mit der Melodie der Drehleier (gespielt von John Stenersen) im Mondlicht.
„Slowly The Light Dies Out“ ist ein melancholisches Lied, das mit einer sanften, fast zerbrechlichen Stimme gesungen wird. Sphärische Klänge begleiten dies wie Sternschnuppen, die am Himmel auftauchen.
In „Like The Star“ machen die intensive Stimme und die energetische Perkussion Mut, zu träumen und nach dem Unbekannten zu greifen. Sterne verglühen, so wie Träume vergehen. Aber es gibt neue Universen zu entdecken und weitere Träume umzusetzen.
Vielschichtige Klänge, nachdrückliches Drumming mit vielen Wechseln im Tempo, ein etwas unheimlicher, teilweise verzerrter Gesang, Atemgeräusche. So klingen Anspannung und Wut, die entstehen, wenn nichts von dem, was man macht, in den Augen der anderen richtig ist. „Don’t Do Right“ – hör‘ auf dich selbst und mach‘ etwas nicht nur, weil es richtig für die anderen ist.
„Furnas“ ist im Vergleich zum vorangegangenen Lied eher ruhig und meditativ. Sanft weist der Gesang darauf hin, dass innere und äußere Welt verbunden werden können, wenn man auf sein Herz achtet. Und doch klingt Lindy-Fay so verloren, das man rufen möchte: du bist nicht allein, ich bin hier!
So melancholisch, teilweise traurig, voller Einsamkeit wie das Album bisher klang, bleibt es auch bis zur letzten Note. Doch „The Fluttering Sail“ hat neben Momenten, in denen der Schmerz noch einmal hervorbricht, auch Versöhnliches und Zuversicht. Denn es gibt immer etwas, das uns davor bewahrt, unterzugehen. Mit ruhiger werdendem Herzschlag enden Song und Album.
Die Zeit wegschieben, um dem Tag zu entkommen
Lindy-Fay Hella & Dei Farne haben nicht nur ihr Erleben der Isolation während der Pandemie mit uns geteilt, sondern auch gezeigt, wie wichtig es ist, auf sich zu hören, wahrzunehmen, sich mitzuteilen und im Austausch zu bleiben.
Daraus ist etwas Neues entstanden. Denn diese Art der Verbindung von elektronischer und traditioneller Musik, von experimentellen Formen mit Folk-Elemente zu atmosphärischen Klängen hatte ich bis dahin noch nicht gehört.
Besonders berührt und beeindruckt hat mich der Gesang. Mal zart, sirenenhaft dann wieder energisch, bestimmend. Hier werde ich direkt angesprochen und in die Gedanken und Emotionen eingebunden. Die Direktheit kommt auch dadurch zustande, dass die Klangschichten komplex sind und die Stimme und die traditionellen Musikinstrumente ungeschönt in ihrem Klang belassen wurden. Der Kontrast zwischen der Bodenständigkeit und Wärme der traditionellen Instrumente und der Präzision der Synthesizer macht viel von der Spannung der Lieder aus.
Dieses Album hat dem Gefühl der Einsamkeit, die vielen Menschen zurzeit zu schaffen macht, eine konkrete Form gegeben. Dabei sind Lieder entstanden, die einen weiteren klanglichen Raum eröffnet haben, den man erkunden sollte!
Yesterday you could read the interview with Lindy-Fay Hella, in which we discussed her musical background and also about the new album.
Lindy-Fay Hella & Dei Farne released the album „Islet“ on March 22, 2024. It is the second album by the Norwegian duo, following „Hildring“ (2001). Already in 2019, Lindy-Fay Hella, known to many of you as a member of WARDRUNA, followed her own ideas with her first solo album „Seafarer“.
The music for „Islet“ was largely created during the COVID-19 period. Lindy-Fay Hella and Roy Ole Førland captured the thoughts and emotions that arose during isolation in their music. The lyrics came later. Lindy-Fay chose Portugal, a country she had not known before, to seek inspiration. She let things come to her and discovered a small island (which gave the album its name) that fascinated her. This small island in the ocean was a magical place for her and a symbol that even in a sea of loneliness, there are firm and magical places.
Melancholy and Magical Moments
That was my first impression of the album: it is melancholic, sometimes cold and unwelcoming, and then so close that it feels oppressive. At the same time, it is full of magical moments and sounds as if from another world.
Isolation may have also heightened the awareness of sensory impressions, which become particularly noticeable during a walk by the sea. The music captures the feeling of sun, wind, and saltwater on the skin, the smell of the sea, and the sound of the waves. And anyone who has stood by the sea during a full moon, when the water recedes with the ebb or returns with the flow, might have also perceived this as magical moments.
But not only the experience of the senses plays a role but also dreams – and in the spirit of folkloric tradition – mythical beings and mysterious places.
Spherical Sounds, Grounded Melodies, and Expressive Vocals
The effect of the music has much to do with the combination of different musical ideas and approaches. Here, electronic and folkloric elements have formed an unusual connection. Synthesizers and the varied and expressive voice of Lindy-Fay Hella form the basis and framework of the songs. This is filled with melodies played by traditional instruments.
The interplay and simultaneous contrast of the precision and spherical sounds of the synthesizers with the earthiness and warmth of the nyckelharpa, hurdy-gurdy, and harmonium create the tension and appeal of this combination. This allowed both loneliness and connectedness with the surroundings to be expressed.
Lindy-Fay Hella uses all the possibilities of the voice. Whispering, gentle melodies, ethereal singing that hovers above it all. But she also sounds biting, powerful, and eerie. Detached yet vulnerable, sometimes creating an oppressive closeness.
She is very sparing with the text. You can immerse yourself in the music and use the words and lines of text as impulses for your own thoughts.
Islet – Little Island
The intro „Sintra“ takes us to the beach. Water is gurgling against the small island. Voices sound urging and enticing from a distance. A melancholic, sad melody tells of loneliness. All of this sounds unreal, not of this world.
In „Dark Water“, synthesizers and Hammond organ span across the vast sea and endless sky. The drums are like the light on the horizon, at the end of the world, which is also the beginning.
Fairies, trolls, mythical beings – we cannot see them, but feel their presence or hear their whispers. This is what „Whisper“ is about. Whether these beings exist or not, whether one believes in them or not: every culture has stories about them. And with them come ideas, imaginations, questions, and answers that shape that culture.
„In our greedy times, where the cold hands of capitalism seize everything in sight, the existence of these creatures is threatened“
says Lindy-Fay
Hence, their whispering here is so insistent, reminding us of the whispers in the air, in the mountains, in the forest that we should perhaps listen to more.
Travel in you dreams
„Low Water“ tells of the tides, their energy and effect. When you stand on the shore of the sea, you see how the water brings things in and reveals others as it recedes. In a moonlit night, this appears both unreal and powerful. The stories, ancient legends of people and cities swallowed by the sea. And so, Lindy-Fay Hella’s voice dances with the melody of the hurdy-gurdy (played by John Stenersen) in the moonlight.
„Slowly The Light Dies Out“ is a melancholic song sung with a gentle, almost fragile voice. Spherical sounds accompany this like shooting stars appearing in the sky.
In „Like The Star“, the intense voice and energetic percussion encourage dreaming and reaching for the unknown. Stars burn out, just as dreams fade. But there are new universes to discover and more dreams to realize.
Multifaceted sounds, insistent drumming with many tempo changes, a somewhat eerie, partly distorted voice, breathing sounds. This is how tension and anger sound when nothing one does is right in the eyes of others. „Don’t Do Right“ – listen to yourself and do something not just because it is right for others.
„Furnas“ is relatively calm and meditative compared to the previous song. The gentle singing suggests that inner and outer worlds can be connected when one pays attention to their heart. Yet Lindy-Fay sounds so lost that one wants to call out: you are not alone, I am here!
As melancholic, partly sad, and full of loneliness as the album has sounded so far, it remains until the last note. But „The Fluttering Sail“ has, alongside moments where the pain breaks through once more, also reconciliation and hope. For there is always something that prevents us from going under. The song and album end with a calm heartbeat.
I pushed the time away to escape from this day
Lindy-Fay Hella & Dei Farne have not only shared their experience of isolation during the pandemic with us but also shown how important it is to listen to oneself, to perceive, to communicate, and to stay in exchange.
Something new has emerged from this. For this kind of combination of electronic and traditional music, of experimental forms with folk elements to create atmospheric sounds, I had not heard before.
What particularly touched and impressed me was the singing. Sometimes delicate, siren-like, then again energetic, commanding. Here I am directly addressed and involved in the thoughts and emotions. The directness also comes from the fact that the sound layers are complex and the voice and traditional musical instruments are left unadorned in their sound. The contrast between the earthiness and warmth of the traditional instruments and the precision of the synthesizers creates much of the tension in the songs.
This album has given a concrete form to the feeling of loneliness that many people are currently struggling with. Songs have been created that have opened up another sound space, which should be explored!
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Bildquellen
- Bergen, Norway.Lindy-Fey Hella & Farne during the shooting of the music video of new album ‚Islet‘.: ByNorse Music
- lindy-fay hella & dei farne islet cover: ByNorse Music
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