Ron Merz aka BLOODRED im Interview
Am 18. Mai 2020 kommt das neue Album von BLOODRED heraus. (Mehr dazu hier)
Ich hatte die Gelegenheit, Ron Merz, dessen Projekt BLOODRED ist, ein paar Fragen zu stellen.
BLOODRED verbindet in einem gelungenen Songwriting technisch anspruchsvoll druckvollen Death Metal mit nuanciert gesetzten Melodien. Die Musik von BLOODRED wird meist als Blackened Death Metal bezeichnet. Ob Ron mit dieser Beschreibung einverstanden ist, welche Vor- und Nachteile ein Ein-Mann-Projekt hat, welche Rolle Joris Nijenhuis (Drums) und Alexander Krull (Mastersound Studios) bei der Arbeit an den Alben spielen, erzählt Ron im folgenden Interview. Außerdem geht es neben der Frage nach den Lieblingsgitarren auch um die Zukunft der Metal-Szene.
BLOODRED hast du als Ein-Mann-Projekt angelegt. Du spielst ja mehrere Instrumente. Mit welchem Instrument hast du angefangen? Hattest du Unterricht oder bist du Autodidakt?
Mein erstes Instrument war die klassische Gitarre, für die ich damals auch Unterricht in der Jugendmusikschule bekommen habe. Die ersten zwei Jahre habe ich mich dabei ganz auf das Erlernen der Grundlagen konzentriert und bin heute noch froh, eine einigermaßen guten Handhaltung der linken Hand zu haben. Natürlich habe ich aber angefangen, das Instrument zu lernen, um irgendwann E-Gitarre spielen zu können. Nachdem ich damals einem Freund sein altes Instrument abgekauft habe und dazu noch einen kleinen Amp hatte, bin ich dann auch im Unterricht zweigleisig gefahren. Dabei hatte ich Glück, dass ich den Unterricht bei einem Ehepaar nehmen konnte. Sie hat klassische Gitarre unterrichtet und er konnte mir die E-Gitarre näher bringen. Mein Lehrer war allerdings eher ein Blues-Gitarrist der auf Musiker wie Eric Clapton stand und dann überfordert war, als ich mit Noten zu Metallicas „Battery“ ankam.
Klassische Grundlagen und autodidaktisches Lernen
Wie ging es dann weiter?
Wir waren dann also relativ schnell an dem Punkt angelangt, an dem er mir nichts mehr beibringen konnte und so habe ich das mit dem Unterricht dann sein lassen und mir dann vieles selbst erarbeitet. Wie gesagt, ich bin sehr froh, die Grundlagen ordentlich gelernt zu haben, aber was ich heute technisch verwende, kommt von mir selbst.
Wann hast du angefangen, selbst Musik zu machen?
Wenn man es ganz genau nimmt, dann habe ich schon früh angefangen Musik zu machen. Ich kann mich noch gut an ein kleines Lied erinnern, das ich für die Blockflöte geschrieben habe. Da muss ich so ca. sieben Jahre alt gewesen sein. Richtig angefangen, eigene Musik zu schreiben, habe ich aber erst mit der E-Gitarre. Wie es halt so geht: Wenn man sich besser auf dem Instrument zurechtfindet kommen die ersten Riffs und Melodien, aus denen werden dann erste „Songs“.
Du besitzt ja mehrere Instrumente. Hast du auch so etwas wie eine Lieblingsgitarre?
Irgendwie ist ja immer die neueste Gitarre die Lieblingsgitarre. Das ist bei mir insbesondere der Fall, weil meine eine Evertune-Bridge hat, mit der sich das Instrument nicht mehr verstimmt und auch die Intonation hält. Ich kann die Axt also jederzeit zur Hand nehmen und einfach losspielen.
Welche Unterschiede gibt es zwischen den Gitarren?
Ich empfinde es so, dass jede Gitarre ihren eigenen Charakter hat und zu unterschiedlichen Arten von Musik oder Songs passt. Bei mir sind zum Beispiel alle Gitarren unterschiedlich gestimmt, um dem Rechnung zu tragen. Und manchmal ist es auch von der persönlichen Stimmung abhängig, zu welchem Instrument ich greife.
Auch wenn ich letztendlich keine wirkliche Lieblingsgitarre habe ist es aber auf jeden Fall so, dass ich dem Hersteller ESP treu bin und über all die Jahrzehnte auch nie von der Qualität der Instrumente enttäuscht wurde. Angefangen hat es damit, dass ich Anfang der 1990er Jahre unbedingt die schwarze Explorer von James Hetfield, dem ich sehr viel in Bezug auf die Musik verdanke, haben wollte. Die war von ESP und damals in Deutschland nur schwer zu bekommen. Gekauft habe ich sie damals beim legendären Roadstar. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie ich die Gitarre abgeholt und ehrfurchtsvoll in den Händen gehalten habe. Den Preis von 3.000 DM habe ich seinerzeit durch das Austragen von Werbeblättchen verdient.
Welche Gitarren spielst du auf dem neuen Album?
Auf dem neuen Album sind meine Custom Shop-Eclipse (sie trägt den Namen „Mjölnir“) und die 7-saitige Signature-Gitarre von Nergal (Behemoth) zum Einsatz gekommen.
Metal ist für mich ein Lebensgefühl
Wie bist du zur Metalmusik gekommen?
Mein erstes Konzert war 1987 das Monsters Of Rock in Pforzheim, bei dem neben Deep Purple und Dio unter anderem auch Metallica aufgetreten sind. Dieses Konzert war eine komplett neue Welt für mich, die ich mit großen Augen in mich aufgesogen hatte. Im Elternhaus wurde mitunter auch schon mal rockigere Musik gehört, AC/DC standen ganz hoch im Kurs. In der Plattensammlung habe ich dann beim Stöbern von Iron Maiden die „Piece of Mind“ und von Twisted Sister die „Stay Hungry“ entdeckt. Von der letztgenannten Platte ist mir immer noch „Burn In Hell“ sehr eindrücklich in Erinnerung, ich würde sogar soweit gehen, dass dieser Song so etwas wie die Initialzündung war. Von dort bin ich dann sehr schnell zum Thrash mit allen klassischen deutschen und amerikanischen Bands gekommen. Auch relativ typisch dürfte dann die weitere Entwicklung sein, weil es immer schneller und härter werden sollte. Mit Morbid Angels „Altars Of Madness“ bin ich dann zum Death Metal gekommen und ein paar Jahre später habe ich den Black Metal für mich entdeckt.
Was bedeutet diese Musik und insbesondere Black und Death Metal für dich?
Metal ist für mich ein Lebensgefühl und wichtiger Teil meiner Persönlichkeit. Ich würde mich selbst als sehr ausgeglichene und ruhige Person beschreiben, bin aber trotzdem tief in dem aggressiven Aspekt des Metals verwurzelt. Dazu kommt, dass ich die musikalische Tiefe mag, die viele Sub-Genres mitbringen, hier insbesondere der Black und Death Metal. Keine andere Musik schafft es, mich emotional so anzusprechen, wie es der Metal tut. Ich kann mich mit der Musik pushen oder sie zum Einschlafen hören. Ich kann in Klangwelten versinken oder mich ganz konkret mit den Texten auseinandersetzen und anfangen Dinge nachzulesen. Das alles gelingt mir mit keinem anderen Musikstil.
Die Vocals sind der schwierigste Teil
Bei BLOODRED spielst du ja nicht nur die Saiteninstrumente, sondern übernimmst auch den Vocal-Part. Wie hast du eigentlich herausgefunden, dass du growlen bzw. (Death Metal) Vocals gestalten kannst?
Die Vocals sind bei jeder Aufnahme der schwerste Teil für mich, weil mir das Instrument „Stimme“ am wenigsten liegt. Mittlerweile habe ich mich da aber ganz gut eingeschwungen und weiß die Stimme einzusetzen, die notwendigen Pausen zu machen und mir mit kleinen Hilfsmittelchen zu helfen. Mit den Vocals auf „The Raven’s Shadow“ bin ich tatsächlich sehr zufrieden, weil sie definitiv eine Verbesserung zum Vorgänger „Nemesis“ darstellen. Im Studio war ich da teilweise von mir selbst überrascht und habe Alex Krull nach einem Take mal gefragt, ob er bei den Vocals ein Pitching eingesetzt hat. Er hat das dann verwundert verneint, was auch der Wahrheit entspricht.
Die Vocals zu übernehmen ist, wie vieles bei BLOODRED, ursprünglich aus der Not heraus geboren. Da ich nicht vorhatte, reine Instrumentalmusik zu machen, mussten natürlich irgendwelche Vocals her. Und die habe ich dann halt auch noch selbst gemacht … Klar habe ich schon von jeher zur Musik mitgesungen, aber eigene Texte zu schreiben und die dann auch noch einzusingen, hat schon einige Zeit des Ausprobierens und der Weiterentwicklung gekostet. Und ich bin da meinem eigenen Anspruch nach auch noch lange nicht am Ende angekommen.
BLOODRED soll ein Abbild dessen sein, was ich musikalisch fühle
Du bist 2009 mit BLOODRED gestartet. Gab es einen Anlass, dass du gerade zu diesem Zeitpunkt begonnen hast, Ideen, die du wahrscheinlich schon länger mit dir herumgetragen hattest, umzusetzen?
Es war zu diesem Zeitpunkt vor allem so, dass ich meinen Entschluss, die geschriebene Musik aufzunehmen, endlich umgesetzt habe. Wie viele hatte auch ich viele Jahre zuvor mit dem Kassettenrekorder angefangen, wollte das aber jetzt etwas nachhaltiger angehen. Und so habe ich mir das erste Equipment gekauft und einfach angefangen.
Welche Idee steckt hinter BLOODRED? Musikalisch, bezogen auf die Themen, die du in deinen Texten übermittelst?
BLOODRED soll ein Abbild dessen sein, was ich musikalisch fühle und mit welchen Gedanken ich mich auseinandersetze. Deswegen möchte ich für mich auch eine gute Balance zwischen genre-typischen Erwartungen und dem, was mir wichtig ist, finden. Eine Maxime ist für mich, dass ich mich nicht einschränken lassen will. Ich will musikalisch all das umsetzen, was für mich relevant ist, was mir gefällt oder was ich einfach ausprobieren will. Wenn dabei mal ein sehr doomiger Song herauskommt, dann sei es so. Oder ein Track, der nicht unbedingt kompakt ist, sondern auch mal Teile des Songs ausführlich und repetitiv aufgreift, so what. Ich selbst muss mich gut damit fühlen. Textlich lege ich mir insofern Schranken auf, als dass ich, wenn möglich, nicht auf Klischees zurückgreifen will, die schon zigfach in anderen Texten aufgetaucht sind. Die Themen mögen sich mit denen anderer Bands überschneiden. Ich versuche aber, einen Ansatz zu finden, der nicht ausgelutscht ist. Ob mir das alles gelingt, müssen dann die Hörer entscheiden.
Du hast einmal gesagt, dass es in der Gegend, in der du wohnst, schwierig ist, Musiker zu finden, mit denen du deine Ideen gemeinsam umsetzen kannst. War das der ausschlaggebende Punkt, dass du dir gesagt hast: dann ziehe ich das allein durch?
Der ausschlaggebende Punkt war schlicht und einfach, dass ich mich durch diesen Umstand nicht in meiner Kreativität aufhalten lassen wollte. Als Solo-Projekt fehlen natürlich gewisse Aspekte, aber insbesondere in Bezug auf das Komponieren der Musik und das Schreiben der Texte gibt es nicht so viele Einschränkungen. Im ersten Jahr habe ich für mich befriedigende Fortschritte im Songwriting gemacht, was mich auch darin bestärkt hat, den Weg auch allein weiterzugehen. Nebenbei: die Songs von damals würde ich heute niemandem vorspielen wollen …
Keine Kompromisse
Welche Vorteile siehst du in einem Solo-Projekt? Vermisst du eventuell etwas, wenn du die Ideen und Entscheidungen allein mit dir ausmachen musst?
Der Vorteil eines Solo-Projektes liegt auf der Hand: Ich kann zu 100% meine Vorstellungen umsetzen und muss keinerlei Kompromisse eingehen. Somit kann ich dann auch sagen, dass zum Beispiel die Alben vollkommen dem entsprechen, was ich zu dem Zeitpunkt für das Projekt als richtig empfunden haben.
Dem gegenüber steht aber natürlich die Tatsache, dass man eben auch alles allein machen muss. In einer Band kann man sich unterschiedliche Tätigkeiten ggf. aufteilen, bei BLOODRED bleibt alles an mir hängen. Damit habe ich mich aber arrangiert und ich empfinde es auch als einen befriedigenden Aspekt des künstlerischen Schaffens, mich um Themen abseits der eigentlichen Musik zu kümmern. Zum Glück bringe ich dazu auch in den meisten Bereichen die notwendigen Kenntnisse mit und kann so Grafiken oder Videos auch selbst erstellen. Und wenn ich da Grenzen erreiche, dann habe ich das große Glück, mit absoluten Könnern wie Alex Krull oder Stefan Heilemann zusammenzuarbeiten.
Reicht dir deine eigene Inspiration? Woher kommt diese/nimmst du sie?
Ich versuche eigentlich immer für Inspirationen aus egal welchen Quellen offen zu sein. Das kann Musik sein, ein Bild oder Film, ein Artikel in einer Zeitung oder eine einzelne Textzeile in einem Buch. Oft versuche ich dann das umzusetzen, was ich in diesem Moment empfunden habe und welche Gedanken aufgekommen sind. Ich würde daher schon sagen, dass mir meine eigenen Quellen der Inspiration reichen und ein großes Reservoir an Ideen darstellen.
Frühe Prägung und aktives Hinhören
Kann man als Songschreiber eigentlich ‚verhindern‘, dass Passagen ähnlich klingen wie bereits veröffentlichte Musik? Ich komme darauf, da manche Leute diese ‚Ähnlichkeiten‘ so darstellen, als wenn sie imitiert/kopiert wurden. Aber Musik, die neu entsteht, ist doch immer irgendwie von bereits bestehender beeinflusst. Oder wie siehst du das?
Natürlich kann sich niemand von der Beeinflussung durch bereits bestehende Musik freimachen, denn ob man will oder nicht, Gehörtes fließt in das eigene musikalische Schaffen mit ein. Meine eigenen Einflüsse würde ich in zwei Kategorien einteilen: Da ist zum einen die frühe Prägung in der Jugend, hier wären beispielhaft Metallica, Slayer, Kreator oder Morbid Angel zu nennen. Das ist tief in mir drin und bildet die Grundlage. Dazu kommt aber selbstverständlich auch die zeitgenössischere Musik, die ich mir unter dem Aspekt der musikalischen Ansätze durchaus auch bewusst zur Beeinflussung anhöre. Man selbst entwickelt irgendwann seinen eigenen Stil, was zwar positiv ist, aber auch die Gefahr in sich birgt, sich zu sehr zu wiederholen. Das möchte ich möglichst vermeiden und nehme daher Einflüsse anderer Künstler gerne mit auf.
Wenn deine Musik mit der z.B. von AMON AMARTH oder MOONSORROW verglichen wird: siehst du das eher als Bestätigung/Bestärkung oder ärgert dich so etwas auch?
Mit der Einteilung in Kategorien oder dem Vergleich mit anderen Bands bin ich nicht immer so glücklich, weil ich das oft als Einschränkung empfinde.
Ein Beispiel: Das Anfangsriff des Songs „Under This Sun“ vom neuen Album wurde jetzt schon mehrfach mit Amon Amarth verglichen. Das ist sicherlich nicht ganz falsch, es ließen sich aber bestimmt auch andere Bands finden. Schlimmer ist in meinen Augen dann eher die Tatsache, dass nach dieser Aussage völlig unterschlagen wird, dass der Song im weiteren Verlauf so gar nichts mehr mit Amon Amarth zu tun hat und zum Beispiel jede Strophe komplett neue Riffs und Melodien aufweist, nur der Refrain wiederholt sich. Man wird meiner Meinung nach dem Song dann mit so einer Kategorisierung nicht gerecht.
Braucht man diese Kategorien eigentlich?
Es ist doch so, dass der Mensch nun mal so gepolt ist, dass er ständig für fast alle Dinge automatisch Kategorien bildet. Diese basieren auf eigenen Erfahrungen, sind wohl aber auch Teil des in der Evolution herausgebildeten Verhaltens. So mussten unsere Vorfahren schnell einschätzen können, ob z.B. ein Tier eine Gefahr darstellt oder nicht. Das lässt sich auf fast alle Lebensbereiche übertragen. Wobei es durchaus Unterschiede in der Fähigkeit, neue Kategorien zu bilden, zu geben scheint. Ältere Menschen haben damit wohl eher Probleme als jüngere. Und man fühlt sich in diesen Klassifizierungen einfach wohl, weil die eigene Welt dann so schön geordnet ist. Dementsprechend werden dann halt für neue Musik oder neue Künstler bereits bekannte Kategorien oder Bands herangezogen.
Ist die Bezeichnung „Blackened Death Metal“ eine Zuschreibung von außen oder dein Grundgedanke?
Die Kategorisierung „Blackened Death“ kommt eher von außen. Ich selbst würde gar nicht sagen, dass ich schwerpunktmäßig Death Metal mache. Die Einflüsse sind unbestreitbar da, aber weder in der Musik, die ich aktuell höre, noch in meiner Herangehensweise ein Schwerpunkt. Lediglich die Vocals sind eher dem Death Metal zuzuordnen, die Musik meiner Ansicht nach aber nicht. Ich wähle, wenn schon notwendig, lieber die sehr breite Kategorie „Extreme Metal“. Aber mit „Blackened Death“ kann ich, wenn es schon sein muss, auch leben.
Metal: einerseits konservativ – andererseits offen für Experimente
Erlebst du die Metal-Szene oder die Metal-Hörer als konservativ bzw. Experimenten und einer Öffnung der Musik in verschiedene Richtungen eher ablehnend gegenüber?
Der Metal-Szene wird ja im Allgemeinen nachgesagt, eher konservativ zu sein. Das mag in bestimmten Aspekten durchaus so sein. Allerdings möchte ich da auch nicht pauschalisieren und über eine komplette Musikrichtung mit so vielen Schattierungen urteilen.
Ich glaube zum Beispiel, dass vielen Metal-Hörern noch immer das Artwork wichtig ist, so wie es vor 20 oder 30 Jahren war, als man Musik noch im Plattenladen gekauft hat. In anderen Musikrichtungen ist das 5×5 cm große Cover auf dem Handydisplay nur noch notwendiges Beiwerk. Darüber hinaus ist sich die Metal-Szene auch ihrer Geschichte mehr bewusst und empfindet sie als wichtigen Teil der eigenen Identität. Das sind nur zwei Beispiele für das Konservative. Sicherlich trifft das aber auch nicht für alle Metal-Hörer zu und es gibt auch in anderen Musikstilen Menschen, die so denken.
Der Metal ist grundsätzlich meiner Meinung nach auch offen für Experimente in Bezug auf die Öffnung in andere musikalische Richtungen. Es gibt ganze Sub-Genres, die aus einer solchen Öffnung entstanden sind. Hier sei als Beispiel mal der Industrial-Metal genannt. Allerdings zeigt sich hier dann auch das Problem des Konservatismus im Metal, weil Anhänger verschiedener Unterkategorien dann gerne Neues und Anderes ablehnen. Wer kennt nicht die unselige Diskussion, was jetzt „trve“ oder nicht „trve“ ist …
The Raven’s Shadow
Ich möchte noch einmal auf die Entstehung deiner Alben zurückkommen: Wie ist eigentlich der Kontakt zu Alexander Krull zustande gekommen?
Ich habe ihn vor Jahren eines Tages einfach mal angerufen, als ich das Vorhaben, die Songs professionell aufzunehmen, praktisch umsetzen wollte. Sein Studio ist von mir mit dem Auto nur 15 Minuten entfernt. Ich war mir vor dem Telefonat nicht sicher, ob Alex so eine Produktion überhaupt machen würde. Er hat aber schnell zugesagt und so ging das dann alles seinen Lauf.
Wieso fühlst du dich gerade dort mit deiner Musik gut aufgehoben (ich nehme an, dass das so ist, da die EP und beide Alben dort aufgenommen wurden)? Was lässt dich dort „entspannt wie vollauf fokussiert arbeiten“?
Zunächst ist es schlicht und einfach so, dass Alex einen ähnlichen Background und vor allem aber sehr, sehr viel Erfahrung in dem Genre hat, in dem auch ich mich bewege. Daher weiß er zum Beispiel, worauf es bei der Produktion ankommt und wo die Fallstricke sind.
Absolut angenehm ist, dass die Arbeit im Studio immer auf Augenhöhe erfolgt. Immerhin hat man es mit Musikern zu tun, die selbst schon Jahrzehnte Erfahrung haben, mehrfach um die Welt getourt sind und eine beeindruckende Discographie aufweisen können. Das scheint aber zu keiner Zeit durch und macht die Aufnahmen daher entspannt. Die versammelte Erfahrung hilft gleichzeitig aber auch dabei, sich jeweils auf die Parts zu konzentrieren und zu fokussieren.
Abseits der Arbeit haben wir aber auch schon viele Stunden mit intensiven Gesprächen über alle möglichen Themen verbracht. Wir kommen auch auf einer persönlichen Ebene sehr gut miteinander klar, was der Atmosphäre im Studio natürlich sehr zuträglich ist.
Welche Unterstützung und Ratschläge hast du von Alexander Krull erhalten?
Alex hilft vor allem bei der Aufnahme der Vocals und macht Vorschläge zu Phrasierungen, kleinen Textanpassungen oder wir besprechen, an welchen Stellen die Vocals zum Beispiel gedoppelt werden sollen oder wo ein bestimmter Effekt passen würde. Auf die Musik nimmt er gar keinen Einfluss.
Dort in den Mastersound – Studios hast du Joris Nijenhuis kennengelernt. Wie weit/in welcher Weise hat Joris den Drumpart verändert/erweitert? Welche „neue, mächtige Dimension“ hat er in die Musik gebracht?
Wenn ich Songs schreibe, dann programmiere ich die Drums am Rechner. Nun bin ich aber kein gelernter Schlagzeuger und schreibe daher vielleicht auch mal einen Drumpart, der von einem Menschen gespielt gar nicht funktioniert. Auch die Geschwindigkeit der Songs ist immer ein Thema, da ich am Rechner in Bezug auf die Drums nicht limitiert bin, ein Mensch das aber eventuell gar nicht spielen kann. Grundsätzlich sind für mich die programmierten Drums auch eher Vorschläge und dienen dazu, meine Ideen beim Songwriting hörbar zu machen. Joris hat jederzeit die Möglichkeit, die Drums umzuschreiben und seinem Stil und dem Machbaren anzupassen. So kommt es dann auch, dass auf der fertigen Aufnahme Passagen zu hören sind, die ich so gar nicht vorgesehen hatte, die Songs aber einfach perfekt erweitern und besser machen. Auch wenn er meist relativ nah an meinen programmierten Drums bleibt, sind diese Verbesserungen in meinen Augen dennoch sehr wichtig.
Die Lyrics – manchmal ein weiteres Instrument
Wir haben jetzt viel über die Musik gesprochen. Ich finde die Texte ebenfalls interessant. Um es kurz zusammenzufassen: die Texte beschäftigen sich u.a. mit dem Leiden, das ein Krieg mit sich bringt, sowie im weitesten Sinne mit Religion. Und du verwendest Gedanken der nordischen Mythologie. Was haben diese Themen mit dir zu tun?
Alle Texte, egal ob komplett von mir geschrieben oder auf Basis von Gedichten, haben etwas mit mir zu tun. Denn zumindest liegt die inhaltliche Idee immer bei mir. Ich versuche aber darüber hinaus auch Dinge aufzugreifen, dich mich tiefer berühren oder meine Einstellung zu manchen Dingen widerspiegeln.
Das beste Beispiel auf dem neuen Album ist der Text zu „Immense Hall Of Agony“, in dem ich den grausamen Anschlag auf das Bataclan in Paris aufgreife. Mich hat neben den menschlichen Schicksalen und den vielen Toten damals vor allem die Tatsache sehr berührt, dass die Menschen sich dort zu einem Konzert versammelt hatten, um einfach eine gute Zeit zu haben. Etwas, das jeder von uns selbst wird nachvollziehen können. Die Vorstellung, dass dann mittendrin Terroristen das Feuer eröffnen und die Menschen wie Getreide im Wind mit ihren Kugeln ummähen, ist einfach nur sehr, sehr schrecklich. Der Text ist unter diesem Eindruck dann unmittelbar in den darauffolgenden Tagen entstanden.
Überwiegend drehen sich meine Texte schon eher um die dunklen Seiten des menschlichen Lebens und unserer Gesellschaft. Alles andere würde auch nicht zur Musik passen. Mit „Under This Sun“ wollte ich daher auf dem Album aber auch bewusst einen Kontrapunkt setzen, in dem ich die Natur und ihre Wunder beschreibe. Im Subtext ist dies aber natürlich auch mit der Aufforderung verbunden, diese Natur nicht zu zerstören.
Willst du mit den Lyrics die Intention oder Wirkung der Musik unterstreichen?
Wie bei den meisten Bands ist es aber auch so, dass Gesang und Texte die Wirkung der Musik verstärken sollen. Ich finde es in dem Zusammenhang auch sehr interessant, wie Lyrics wirken, wenn man zum Beispiel die Sprache gar nicht versteht. Dann muss oder kann man sich nicht mehr auf den Inhalt konzentrieren, sondern nimmt den Gesang wirklich als weiteres Instrument wahr. Mir geht es zum Beispiel mit dem Isländischen so. Isländisch ist eh eine der besten Sprachen für Metal. Bei BLOODRED machen die internationalen Hörer zum Beispiel mit dem deutschen Text bei „Hör Den Tod“ diese Erfahrung.
Der Text des Titelsongs basiert auf Gedichten des englischen Dichters William Watson. Was spricht dich gerade an seinen Gedichten an? Ist es eher der hymnische Charakter oder weil er sich politisch gegen das Establishment positioniert hat?
Wenn ich Gedichte für die Lyrics verwende, dann lasse ich mich in der Regel von der Sprache leiten. Als Nicht-Muttersprachler fällt es manchmal schwer, die Gedanken in englische Texte umzusetzen, geschweige denn, ausgefeilte Formulierungen zu finden. Deswegen greife ich auf Gedichte, auch auf ältere zurück, da sie eine Sprache verwenden, die heute nicht mehr unbedingt üblich ist. Ich mag auch die Vorstellung, diese dann auf meine Weise zu vertonen und so erneut zum Leben zu erwecken. Wenn man so will, dann ist es also tatsächlich eher der hymnische Charakter der Texte.
Die Texte im Bereich Death und Black Metal nehmen häufig Anleihen bei der phantastischen Horrorliteratur oder dystopischen Geschichten (Lovecraft, Poe, Meyring usw.) Du hast dich bei den Texten für The Raven’s Shadow eher von Poeten (neben Watson wären da noch Nicolas V. Lindsay und Amergin, der in der keltischen mythologischen Literatur eine wichtige Rolle spielt, zu nennen), inspirieren lassen. Weshalb hast du dich gerade auf diese bezogen?
Ein bisschen habe ich ja gerade schon beschrieben. Also was mich an der Form der Texte reizt. Das bringt mich auch dazu, immer wieder nach solchen Gedichten zu suchen und ich lese sie wirklich gerne. Wenn ich auf der Suche nach einem Text für einen Song bin, dann habe ich immer im Hinterkopf, um welches Thema es sich drehen soll. Denn das entwickelt sich bei mir eigentlich immer parallel zur Musik. Und mit diesem Thema gehe ich dann auf die Suche und schaue mir Gedichte an. Die Herausforderung ist dann, diese in Rhythmus und Phrasierung an die Songs anzupassen. Deswegen nehme ich mir auch die Freiheit heraus, die Texte umzustellen oder zu ergänzen. Ich habe selbstverständlich überhaupt nichts gegen die genannten Autoren. Zwei Texte von Poe habe ich auf dem ersten Album „Nemesis“ verwendet. Allerdings besteht bei diesen Autoren auch immer die Gefahr, etwas zu verwenden, was es schon mehrfach gegeben hat. Das möchte ich vermeiden und grabe daher lieber etwas tiefer.
Die COVID-19-Krise: eine Katastprophe für den Kulturbetrieb
The Raven’s Shadow kommt am 18.Mai 2020 auf den Markt. Da du nicht live auftrittst, bist du von den momentanen Konzertabsagen nicht betroffen. Du hast in einem Beitrag des „My Touche Blog“ geschrieben, dass du dir Gedanken darüber machst, wie sich die Szene verändern wird, da jetzt viele Musiker noch weniger von ihrer eigenen Kunst leben können. Welche Befürchtungen hast du da? Siehst du auch Chancen?
Um heutzutage mit der Musik noch Geld zu verdienen, musst du Tickets für Konzerte und Merchandise verkaufen. In Zeiten von spottbilligem Streaming ist über Albumverkäufe nur noch für wenige Künstler was zu gewinnen. Wenn man bedenkt, dass es pro gestreamtem Song nur einen Bruchteil von einem Eurocent gibt, kann man sich ausrechnen, wieviel da gehen müsste, um auch nur im Ansatz davon leben zu können. Ein Umstand, der dafür verantwortlich ist, dass mein musikalisches Wirken im Grunde auch immer eine nicht ganz so billige Liebhaberei bleiben wird.
Nun fallen für alle Künstler die Tourneen weg, somit fehlt auch die Haupteinnahmequelle, die erst mal nicht kompensiert werden kann. Und nicht nur die Künstler, sondern auch Veranstalter, Clubs etc. sind betroffen. Die Befürchtung ist ganz klar, dass es im Verlauf dieser Krise Verluste geben wird. Bands werden sich auflösen oder nur noch eingeschränkt aktiv sein können, Clubs schließen, Festivals fallen aus und kommen nicht mehr wieder. Das ist nicht nur für den Kulturbetrieb eine Katastrophe sondern besonders für die einzelnen betroffenen Personen, die so um die Arbeit vieler Jahre oder gar das Lebenswerk gebracht werden. Welche Chancen sich daraus ergeben können bleibt abzuwarten.
Überfrachtete Tour-Packages und Diversifizierung des Billings
Eugen Lyubavskyy von PRIPJAT hat in seinem Format „Der Eugen vom Dach“ Musiker und Veranstalter zu Wort kommen lassen. Es geht u.a. darum, ob sich die Covid19 – Krise positiv oder negativ auf den Metal- Underground, die Musikszene auswirken wird. Es wurde von der Möglichkeit eines „Re-Sets“ sowie von einer Überfrachtung und Übersättigung des Marktes gesprochen, die dazu führt, dass die Leute keine Lust mehr hätten, irgendwo hinzugehen (sagt z.B. Sascha Joseph von THE BLACKWHITECOLORFUL). Er regt an, dass man die Krise zum Anlass nehmen kann zu überlegen, was man besser bzw. anders machen können.
Wie siehst du das? Was könnte/sollte man anders machen, wenn/sobald die Beschränkungen wieder gelockert werden?
In Bezug auf eine Übersättigung des Marktes kann ich nur zustimmen. Und das sage ich als – wenn auch sehr, sehr kleiner – Marktteilnehmer. Offensichtlich ist es so, dass es aufgrund niedriger Eintrittshürden mittlerweile viel zu viele Bands gibt, die um die begrenzte Aufmerksamkeit der Hörer kämpfen. Und nochmal: Auch BLOODRED gehört dazu.
Da das aber am Ende zu abstrakt ist, weil ja niemand wirklich einen Überblick haben kann, nehme ich als ein Beispiel für die Übersättigung die Tour-Packages, die in den letzten Jahren leider in Mode gekommen sind. Mittlerweile gibt es zumindest bei mittleren bis großen Bands kaum noch Tourneen, auf denen nicht vier oder fünf Bands pro Abend spielen. Das hat sicherlich vor allem wirtschaftliche Gründe, macht mich als Konzertbesucher aber fertig. Besonders offensichtlich ist auch die zunehmende Diversifizierung des Billings, damit auch ja für jeden was dabei ist und das Risiko gestreut wird. Ich habe nicht selten erlebt, dass mir persönlich in Folge dieses Vorgehens nur die Hälfte der Bands gefallen hat und der Rest notwendiges Übel war. Und das bringt doch keiner der beteiligten Parteien etwas.
Musik heute oft nur noch Beiwerk
Was könnte anders gemacht werden?
Mit fällt es schwer Verbesserungsvorschläge für den Business-Aspekt zu machen, da ich da einfach zu weit weg bin. Was ich aber als extrem wichtig empfinde, ist, dass wir Musikkonsumenten wieder ein anderes Verhältnis zur Musik entwickeln. Musik, egal welchen Genres, ist heutzutage viel zu oft nur noch ein Beiwerk, dass das Leben über miese Abhörgeräte bedudeln soll. Viel zu wenige setzten sich hin und vertiefen sich in die Musik, nehmen die Texte und das Artwork war. Lieber lässt man die Musik beim Joggen, Arbeiten oder Fernsehschauen nebenher laufen. Und spätestens seit dem Siegeszug der Online-Plattformen ist Musik auch nichts mehr wert.
In Bezug auf Spotify und Co. kommt noch ein weiterer Aspekt dazu: Die Algorithmen und v.a. die kuratierten Listen lassen es nicht mehr zu, unbekannte und kleine Bands zu entdecken. Wenn ich mir anschaue, was zum Beispiel auf Apple Music im kuratierten Bereich unter „Metal“ auftaucht, dann ist das schlicht ein Witz. Da findet man dann alle großen Bands, deren Labels offensichtlich mit den Anbietern zusammenarbeiten, aber keine „neue“ Musik. Mitunter werden Alben noch im „Aktuell“-Bereich aufgeführt, die schon seit Monaten auf dem Markt sind. Vielleicht wäre es ein Ansatz, eine eigene Underground-Plattform zu schaffen, die nach klaren Regeln funktioniert. Zum Beispiel: Wer einen Plattenvertrag hat fliegt raus. Und die wirklich nur für die vielen tollen Musikerinnen und Musiker da ist, die abseits des Mainstreams aktiv sind. Das Ganze dann übersichtlich und mit einer guten Usability, ohne kommerzielle Interessen. Klingt eigentlich nach einem spannenden Projekt, muss ich mir vielleicht mal näher anschauen …
Ausblick
Mal abgesehen von solch‘ einem Projekt: Wie wird es bei dir weitergehen? Wirst du dich weiter auf die Suche nach Musikern machen, mit denen du deine Ideen umsetzen kannst, damit du deine Musik auch einmal live präsentieren kannst?
Ich bin aktuell neben allen Aufgaben rund um die Veröffentlichung des neuen Albums schon wieder daran, neue Songs zu schreiben. Das werde ich auch weiter fortführen ohne schon zu wissen, wie und wann diese dann veröffentlicht werden.
Möglicherweise starte ich nochmal einen Versuch, Mitmusiker zu finden. Ich würde schon sehr gerne meine Musik endlich auf die Bühne bringen und auch dieses Gefühl erleben und genießen. Zudem ist es schlicht und einfach auch so, dass die fehlende Live-Präsenz entscheidend dazu beiträgt, dass ich bisher noch kein Label für BLOODRED finden konnte. Mal schauen, was da die nächsten Monate so bringen werden.
Ich hätte noch viele Fragen: zu Isländisch als beste Sprache für Metal, Skálmöld, einer isländischen Band, die dir gut gefällt, deinen musikalischen Ideen, den Texten – aber darüber können wir uns ein anderes Mal unterhalten. Für heute erst einmal vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, die Fragen zu beantworten.
Vielen Dank für die tollen Fragen!
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Bildquellen
- bloodred esp-guitar: Bloodred
- bloodred cover ausschnitt: metalmessage
- bloodred: Bloodred Foto: Stefan Heilemann
- bloodred the raven’s shadow: Metalmessage Coverartwork: Stefan Heilemann
- bloodred: Metalmessage Foto: Stefan Heilemann
- bloodred ron merz: metalmessage Foto: Stefan Heilemann
- bloodred ron merz: metalmessage Foto: Stefan Heilemann
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