D-A-D – keine Nostalgie, nur Energie in der Zeche Bochum
Es ist Dienstag und die Zeche Bochum ist bereits bei der Vorband von D-A-D gut gefüllt. Prima Voraussetzungen für einen gelungenen Abend. Während Kollege Chipsy schon mal die Lage im Revier peilt – kein Graben und Fotoerlaubnis für die ersten drei Songs – schaue ich noch mal kurz am Grill im Biergarten vorbei und verpacke mir fachgerecht eine dieser sagenhaft leckeren Currywürste, für die ich auch unbesehen in diesem Artikel Schleichwerbung machen würde…
Schwedenhappen
So gestärkt erwarte ich im noch einmal voller gewordenen Saal die Vorband THUNDER MOTHER aus Schweden. Bereits beim Opener „Deal With The Devil“ steht die Marschrichtung in Neonschrift vor uns: die fünf jungen Damen sind die hübschere und mindestens ebenso talentierte Alternative zu ihren Landsleuten TRUCKFIGHTERS und warum der vakante Posten von Brian Johnson bei AC/DC zwingend an einen Kerl vergeben werden muss, wird mir in den kommenden knapp 50 Minuten immer fragwürdiger.
Donner-Rock vs. Donna Rock
THUNDER MOTHER´s präsentes Aushängeschild ist die Irin Clare Cunningham, die nicht nur optisch eine Menge her macht (mehr geht hier textlich nicht wegen der erhöhten Zahlbeträge ins Chauvi-Schwein…) sondern stimmlich bereits von Minute eins an überzeugt. Joan Jett stand bei der Wahl-Stockholmerin wohl ebenso im Plattenschrank, als sie sich 2010 entschloss, bei den Donnermuttis den Ton an zu geben wie die ersten Scheiben von SKEW SISKINs Sängerin Nina C. Alice. Mit Tamburine bewaffnet und unterstützt von der zweiten „Gastarbeiterin“ im Quintett – Gitarrista Giorgia Carteri aus Bella Italia (BELLA Italia, wohlgemerkt…) – geht der erste Akt mit „Rock’n’Roll Desaster“ und „Cheers“ rockig-intensiv über die Bühne.
Wie bei diesen beiden Songs bleibt auch im Mittelteil des Sets die Songauswahl erstmal beim 2014er Debütalbum „Rock’n’Roll Desaster“. Man kann bei „Thunderous“, „Deranged“ und „Dangerous Kind“ unbesehen nachvollziehen, warum die heimische Presse in Wasaland vor zwei Jahren ziemlich aus dem Häuschen und das Erstwerk auf Platz zwei der nationalen Charts zu finden war. Handwerklich ist das, was die Damen hier bieten, noch eine Ecke tighter wie die stilsicher ausgesuchten Beinkleider (ich hör es im Schweinderl klimpern, verdammt…) und alle Vergleiche mit männlichen Pendants im Rotzrock-Segment bestehen Bandgründerin Filippa Nässil und ihre quirlige Bande nach Punkten. OK – es ist auch stellenweise etwas übertriebenes Posing dabei, was vielleicht erst nach einem Bier mehr richtig gut ankommt. Aber hey: THUNDER MOTHER sind die Supportband, von der das Anheizen des Publikums erwartet wird! Und dieser Erwartung wird der Fünfer locker gerecht.
Auf der langen Leitung
„Thunder Machine“ ist nachfolgend ein Track vom aktuellen 2015er Album „Road Fever“ und dient zur Mitte des Sets als obligatorische Mitsingnummer. Leider hat die gute Clare heute Abend weniger Glück mit dem Publikum aus dem Pott. Selbst die Aussicht, andere Crowds der letzten sechs Konzerte an Lautstärke auszustechen, bringt noch keine richtige Motivation zustande. Dabei könnte die schiere Masse der jetzt proppevollen Zeche doch einiges reißen.
Bass, besser, THUNDER MOTHER
Etwas unverrichteter Dinge leitet der blonde Flummy Cunningham über zu „Shoot to Kill“, der letzten der insgesamt sechs Tracks vom Debutalbum. Hier kann sich Linda Ström am Tieftöner einmal deutlich mehr in Szene setzen. Mir ist die hochgewachsene Blondine bereits dadurch sympathisch, dass sie eine Kutte trägt und die Wahl des Backpatch‘ auf JUDAS PRIEST gefallen ist. Ob Ian Hill demnach ihr Vorbild unter den Bassisten ist, muss ich irgendwann mal im Interview erfragen. Was die Beweglichkeit auf der Bühne angeht, ist sie meilenweit mehr unterwegs als der kauzige Mittelengländer. Noch während des verlängerten Solos hatten Filippa und Clare die Bühne verlassen um einige Zeit später mit ziemlichem Hallo die Treppentribüne gegenüber der Bühne herunter durchs Publikum zu laufen. Quasi Künstler zum anfassen (wer sich traut…).
„Roadkill“ und „Tease“ sind die beiden abschließenden Empfehlungen für das Material auf „Road Fever“, bevor sich THUNDER MOTHER ihre Drummerin Tilda Stenqvist nach vorne holen und sich ausgiebig für die Unterstützung der Zeche-Besucher bedanken und noch einmal lauthals D-A-D ankündigen.
Please hold the line…
Die zwangsläufige Umbaupause wird dadurch ein bisschen kurzweiliger, dass D-A-D sich entschieden haben, die RAMONES als Pausenmusik zu verwenden. Die Wahl erfolgt nicht von ungefähr, denn die Binzer-Brüder waren vor der gemeinsamen Zeit bei D-A-D jeweils in punkigen Garagenbands unterwegs. Den Punk im Gencode von D-A-D konnte man folgerichtig in den beiden ersten Alben noch eindeutiger verankert finden als beim Major Label-Release „No Fuel…“ und den folgenden Alben ab 1991.
Dem gepflegten Image als schräge Truppe mit Spassfaktor 100 werden D-A-D bereist mit dem Backdrop auf der Bühne gerecht: ein popelgelbes Tapetenimitat, auf dem sich ein 70er-Jahre Rautenmuster und der markante Bullenschädel des Bandmaskottchens abwechseln. Dazu ein aufgemaltes Bild im aufgemalten Goldrahmen: der röhrende Hirsch zuckt verschreckt zurück, als er am lieblichen Bachlauf auf der Lichtung des Waldes den erwähnten Schädel im Ufersand liegen sieht. Kitsch as Kitsch can!!!
Skurril ist der zweite Vorname des mit Spannung erwarteten Headliners. Um ja niemanden zu enttäuschen gibt es daher zum Einmarsch keine dramatische Einspielung vom Band sondern alberne Lachsalven mit Spelunkenatmosphäre im Hintergrund.
D-A-D: Alles riskieren
Ohne Umschweife beziehen darauf hin Binzer&Binzer (die Olsenbrüder der dänischen Musikszene) und Bassist Stig Petersen Position am Bühnenrand und legen nach einem „En, Twe, Drie!!!“ von Drum-Youngster Laust Sonne mit „Bad Craziness“ los. Nahtlos folgt „D*Law“, bevor sich Jesper an das Publikum wendet. Es sei ja allgemein bekannt, was heute Abend gespielt werden würde. „No Fuel…“ und „Riskin‘ it All“ hintereinander weg. Letzteres Album sei nun 25 Jahre auf dem Markt. Trotzdem laute die Losung des Abends: „No Nostalgy – but Energy!!!“ Gesagt – getan: bei „Days of Wrong Moves“ wird die zurück genommene Power des Songs durch gesteigerte Power der Akteure ersetzt.
Das Auge schaut mit
Blickfang ist dabei neben Sänger Jesper Binzer ganz eindeutig Stig Petersen. In einer Kostümierung irgendwo zwischen einem 1,95m-Napoleon und Jean-Paul Belmondo als Cartouche, der Bandit ist er überall zu finden: auf den Monitorboxen, auf der PA neben dem Schlagzeug und ganz halsbrecherisch auf der Bass Drum vor der Nase von Meister Sonne. Letzterer besticht durch einen enormen Wumms mit bildlich gesprochen durchschlagendem Erfolg und einem weißen Zweiteiler mit schwarzer Lederkrawatte wie in der Hausband vom Casino Royale.
Unnötig zu erwähnen, dass Stig Petersen die Gunst des Anlasses genutzt hat, und insgesamt ein halbes Dutzend seiner schrägen Eigenkreationen, die er Bass nennt, präsentiert. Ein Plexiglasexemplar mit Neonbeleuchtung ist ebenso im Fundus mit dabei wie ein Eisernes Kreuz mit der Focker vom Roten Baron am Fred oder die Heckfinne eines 50er-Jahre-Straßenkreuzers. Dazu gibt es gratis als Dreingabe ein Wechselbad aus Mimik und Gestik und für die Damen im Publikum (zum Ausgleich für THUNDER MOTHER) ein halboffenes weites Hemd mit freiem Blick auf den knackigen Body eines jung gebliebenen Noch-50ers. Mit dem Napoleon-Zweispitz, der trotz der zappeligen Bewegungen am Kopf fest gewachsen scheint, kommen die blonden mittellangen Haare ebenso gut zur Geltung wie die unverschämt blauen Augen. Wie gesagt: heute Abend ist für jeden Geschmack was dabei.
Im Schatten der Legende
Was soll man groß über eine Setlist schreiben, die ja hinten auf jeder CD abgedruckt ist? Ebend!!! Also kann man sich auch mehr auf Jesper Binzer konzentrieren. Dessen Stimme bringt den ganzen Abend über mit gut gesetzten Phrasierungen die hinlänglich bekannten Songs noch einmal in einer Betonung rüber, die der Band streckenweise vor 25 bzw. 27 Jahren nicht in dem Maße gelungen ist. Heute steht hier jemand mit über 30 Jahren Bühnenerfahrung und bringt bei allem Augenzwinkern und witzigen Einlagen die Songs reifer und ausgereifter rüber als ich es je gesehen habe. Ich kratze wirklich nicht am Image einer Ikone, wenn ich dem Mann in der verwaschenen Jeansjacke attestiere, mit seinem eigenen Material in der Performance nahe an Joe Cocker heran zu kommen. Jedenfalls geht die Zeche mit Mann und Maus geschlossen mit auf diesen Festumzug.
Taktische Finte
Die erste Hälfte des Sets mit „Riskin‘ it All“ und die anschließende Pause von knapp 15 Minuten vergehen wie im Fluge und jeder freut sich auf DAS Album von D-A-D: „No Fuel Left for the Pilgrims“! Aber D-A-D sind ja auch in vorhersehbaren Situationen nicht um eine Überraschung verlegen. Deshalb folgt auf einige Sekunden Verwirrung erleichterte Freude, als Jedermann klar wird, das jetzt nicht „Sleeping my Day Away“ das Konzert fortsetzt, sondern „Ill Will“. Die dänischen Schlitzohren spielen „No Fuel…“ einfach back to front. Im Nachhinein ein fast schon genialer Schachzug: denn seien wir mal ehrlich – die echten Knaller auf der Scheibe findet man doch auf der A-Seite. Und so ist vorhersehbar, dass zum Finale hin die Stimmung noch einmal höher kocht. Denn „Jihad“ und „Sleeping my Day Away“ waren seinerzeit nicht umsonst Singles, die auf MTV in der Heavy Rotation liefen. Ein toller, ein grandioser Abschluss des irren Ritts über 24 Stationen.
Nachvollziehbar will das Publikum mehr. Sprechchöre verlangen, das Konzert komplett zu wiederholen (!!). Aber das wäre sogar für das Danish Dynamite ein bisschen „Overmuch“!!! „It’s After Dark“ aus den Anfangstagen der Band ist der Rausschmeißer, zu dem die Vier noch einmal die Instrumente in die Hand nehmen und eine ausgepowerte, aber rundum zufriedene Zechenbesatzung zurück lassen.
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