Hell bent for Bommelmütze – JUDAS PRIEST beenden ihre Tour in Oberhausen
In letzter Zeit ist das Ruhrgebiet anscheinend kein gutes Pflaster für metallische Großveranstaltungen. Vor fünf Wochen sollte ein einzelner Bierstand mit sechs Leuten Besatzung den Durst aus 2000 Kehlen beim Konzert von ANTHRAX und SLAYER in Bochum löschen. Das nächste Debakel nun bei UFO und JUDAS PRIEST in Oberhausen: den gründlicheren Checks beim Einlass aufgrund der Vorkommnisse in Paris glaubt man dadurch in zeitlicher Hinsicht begegnen zu müssen, dass man lediglich zwei Doppeltüren für den Einlass öffnet. Erst als die eine Warteschlange sich halb um die Halle herum bis an den Zebrastreifen zum Parkplatz zurück gestaut hat, verdoppelt man auf insgesamt vier Einlasse. Naja, besser spät, als nie. Aber UFO sind dadurch für mich bereits passè.
Sei’s drum! Die Freude am Headliner möchte ich mir nicht verderben lassen.
Gemütlich vom Rang aus warte ich die Umbaupause ab, bis endlich „War Pigs“ von BLACK SABBATH ertönt – seit etwa zwei Jahren der Hinweis an den kundigen Fan, dass das eigentliche Spektakel nun los geht.
„Redeemer of Souls“ führt die Setlist an
Wie bereits bei den Open Airs im Sommer ist das aktuelle Album „Redeemer of Souls“ prominent in der Setlist vertreten. Dem instrumentalen Einstieg von „Battle Cry“ folgt „Dragonaut“, der das Album wie das heutige Set eröffnet. Frontmann Rob Halford lässt es zunächst noch ruhig angehen und verzichtet – ausgerüstet mit dem mittlerweile bereits gewohnten edlen Gehstock – auf längere Fußwege auf der über 20 Meter breiten Bühne. Damit ist er zunächst vorne an den Monitoren genauso statisch wie Glenn Tipton links neben ihm und – wen wollte es wundern – Bassist Ian Hill etwas weiter hinten am linken Bühnenrand.
Wer den Schaden hat, …
Über Ian Hills Bewegungslosigkeit habe ich neulich noch das Bonmot gehört, dass er die auf der Bühne eingesetzten Stiefel seit den ersten Konzerten vor über 40 Jahren noch nicht einmal wegen Abnutzung neu besohlen musste. Auf dem Hin- und Rückweg zwischen Garderobe und Bühne legt er deutlich mehr Schritte hin als während des gesamten fast zweistündigen Auftritts. Ich bin im Laufe des Abends versucht, diese Anekdote unbesehen zu glauben…
Dem Nachwuchs eine Chance
Ganz im Gegensatz zu den Ur-Mitgliedern ist der vierte Engländer an Bord – Gitarrist Richie Faulkner – vom ersten Moment an zur Rechten des Metal Gods agil unterwegs. Während auf der großen LED-Wand hinter dem Drumriser und den LED-Bildschirmen entlang der hinteren Bühnenwand gesichtslose Puppen dabei sind, in Divisionsstärke zum Drumbeat von „Metal Gods“ zu marschieren, machen sich das „Bandküken“ und Halford daran, Bewegung ins Spiel zu bringen. Spätestens jetzt hat man sich auch am Mischpult auf das gut gefüllte Haus und die daraus resultierende Akustik eingestellt und „Metal Gods“ bringt die ersten Mitsingchöre des Abends in die Aufwärmphase. Unnötig zu erwähnen, dass Seine Dunkle Majestät sich wohlwollend huldigen lässt, als der Song unter dem Jubel der Zuschauer endet.
Aus wüsten Ebenen zu Dir
Die erste Abwandlung zur Setlist im Sommer folgt der Einblendung des „Point of Entry“-Covers auf der Leinwand auf den Fuß. Der Gitarrenriff zu „Desert Plains“ verspricht einen ersten Test der stimmlichen Verfassung von Sir Robert an diesem Abend am Ende einer ausgedehnten Tour. Vor über 30 Jahren, in der Arena von Long Beach auf der „Defenders“-Tour, hat Halford mit dem Publikum hinter sich und einem genial abgemischten Hall im Mikro die Über-Version dieses Liebeslieds in die Landschaft gepflanzt. Die Latte hängt seit 1984 also haushoch. Und der Auftritt auf Schalke im Mai hat gezeigt, dass der alte Haudegen mit den Stimmbändern gerade im dritten Frühling unterwegs ist.
Scream for me, Long Beach..!!!
Und tatsächlich: der Chorus nach dem Solo untermauert noch einmal eindrucksvoll, warum der Metal God diesen Ehrennamen zu Recht verdient. Nach vorne gebeugt und mit den Ellenbogen pumpend dröhnt ein hohes, klares „From Desert Plains…!!!“ aus der PA, das sofort von allen Anwesenden mit hochgerissenen Armen und lautem Jubel quittiert wird. Gänsehaut beim Berichterstatter inklusive. Wer nicht hier ist, kann nicht mitreden…
Ein weitere Klippe hinsichtlich der Anforderungen an die Singstimme folgt mit „Victim of Changes“, das vom Duo Tipton/Faulkner ebenso tadellos abgehandelt wird wie von Halford. „Halls of Valhalla“ schlägt erneut den Bogen in die jüngste Bandvergangenheit. Der doomige Charakter des Songs kommt erneut deutlicher rüber, als bei der Studioversion. Den Fans zum Gefallen geht es dann wieder zeitlich zurück zum „British Steel“-Album und zum eher selten gespielten „The Rage“. Eine Nummer, die auch Ian Hill zur Abwechslung einmal ins Rampenlicht rückt. Wobei das Licht natürlich zu ihm kommt und nicht etwa umgekehrt…
Mit Vollgas zum Höhepunkt
Das Zahnrad-Labyrinth auf den Bildschirmen bildet den Hintergrund für „Turbo Lover“, den lange Zeit unterschätzten Song aus der sehr auf den US-Markt ausgerichteten Phase der Band in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre. Mittlerweile ist der Track live zu einem Publikumsliebling avanciert und auch ich kann mich dem treibenden Rhythmus zu dem eindeutig zweideutigen Text des Songs nicht entziehen. Man muss die Feste feiern, wie sie fallen! Ohne Pause geht es dann wieder in die Neuzeit mit „Redeemer of Souls“, um dann gaaanz ruhig zu werden mit der von Halford ausführlich angekündigten klassischen Ballade namens „Beyond the Realms of Death“.
Brachiale Vergeltung
Kontrastreicher könnte der nächste Übergang nicht sein: die Bildschirme liefern den Songtext in Graffiti-Optik – trotzdem brauche ich drei Takte, um den Song zu erkennen! In einem fast schon trashigen Gewand kommt eine sehr coole Version von „Screaming for Vengeance“ über die Anlage. Jedi Master Faulkner dreht auf dem flachen Podest am vorderen Bühnenrand komplett ab und auch Mr. Halford legt nochmal ein paar Kohlen nach, um zum „Screaming“ ein bisschen Lautmalerei beizusteuern. Hatte ich erwähnt, dass der Meister heute gut bei Stimme ist…???
Merry Metal Christmas
„Breaking the Law“ ist danach reine Erholung für den Zeremonienmeister, weil die nach wie vor ausgelassene Meute vor der Bühne den Gesangspart über weite Strecken lautstark übernimmt. Abgang des Chefs und dann kommen die Herztöne einer Harley erst vom Band und dann live auf die Bühne. „Hell bent for Leather“ steht auf dem Programm. Aus dem Trockeneisnebel schält sich Halford mit einer kitschigen Nikolaus-Zipfelmütze und hunderte Handydisplays rucken hoch, während er noch den Gashebel ein ums andere mal aufzieht. Gimmick zum Abschluss der Tournee und des Arbeitsjahres voll gelungen!
One last thing…
Mit der Ankündigung, spätestens Anfang 2017 ein neues Album in den Regalen stehen zu haben, verabschieden sich die glorreichen Fünf in die Zugabenpause. Die Zugaben selber bedienen die Erwartungshaltung der Zuschauer. Nach „The Hellion/Electric Eye“ folgt der obligatorische Mitsingpart von „(You’ve Got) Another Thing Comin‘“. Zum folgenden „Painkiller” habe ich eine sehr eigene Meinung, die sich nicht auf die heutige Vorstellung beschränkt. Deshalb sage ich an dieser Stelle nicht mehr als: erwartungsgemäß gut und souverän vorgetragen. Zu erwähnen bleibt noch der zeitlich beinahe passende Rausschmeisser in Gestalt von „Living After Midnight“.
Das Votum der Jury
Das Fazit muss lauten, dass sich die Band noch einmal gegenüber den Konzerten früher im Jahr steigern konnte und insbesondere Rob Halford weit davon entfernt ist, sich aus Konditionsgründen über das Altenteil Gedanken machen zu müssen. Richie Faulkner ist voll in die Mannschaft integriert und weiss, wie und wo er mit seinen Gitarrenparts Akzente setzen kann (nicht zuletzt, um Glenn Tipton auch etwas zu entlasten). Scott Travis ist verlässlich wie eine Vorkriegs-Nähmaschine, wenn es darum geht , den Takt anzugeben. Und Ian Hill ist Ian Hill. Und das ist gut so…
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Bildquellen
- Judas Priest Vorhang: Florinda Limberg
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