Antrisch – Expedition II: Die Passage
Antrisch
Ein paar Monate habe ich gebraucht, um überhaupt an diesen Punkt zu kommen. Das ich mich bereit dazu fühle, ein Review zu dem Konzeptalbum „Expedition II: Die Passage“ von Antrisch schreiben zu können. Doch dazu später mehr. Um überhaupt einen Einstieg in die Thematik zu finden, schauen wir uns erst mal die Band an. Antrisch kommen aus Bayern und bestehen zu einem Großteil aus Mitgliedern der Viking/Folk/Black Metal Band Kromlek. Die 4 Bandmitglieder haben sich auf die Fahne geschrieben, Konzeptalben zu erstellen und darin historische Expeditionen zu beleuchten. Sänger Maurice Wilson (eigentlich ein englischer Abenteurer und Bergsteiger) wurde schon in seiner Kindheit von der Bergwelt und von Reinhold Messner beeinflusst. So kommt das Wort „Antrisch“ auch aus dem Südtiroler Dialekt und steht für „nicht geheuer“ oder „unheimlich“. Ging es in dem Erstling „Expedition I: Dissonanzgrat“ noch auf eine Expedition in die Berge, geht es in „Expedition II: Die Passage“ auf einem Segler ins Packeis der Polarmeere. Vorgetragen wird das ganze auf deutsch…geflüstert, gesprochen, geschrien und musikalisch mit atmosphärischem Black Metal geschmückt.
Expedition II: Die Passage
6 Songs und 38 Minuten erwarten den geneigten Zuhörer. Wir schreiben das Jahr 1845, in dem wir den Polarforscher Sir John Franklin bei dem Versuch begleiten, mit der HMS Terror und der HMS Erebus als Erster die Nordwestpassage zu durchsegeln. Da die Lieder die Geschichte chronologisch erzählen, kann man die einzelnen Songtitel als Kapitel oder Phasen verstehen.
Ich habe das Album sehr oft gehört, jedes Lied für mich quasi „erarbeitet“. Nicht alles hat sofort gezündet…aber es lohnt sich, hier Zeit zu investieren und genau hin zu hören. Es lohnt sich vielleicht mehr denn je, denn dieses Album ist lyrisch auf einem, für mich, völlig neuem Level. Hier wird mit Worten gespielt und der Zeit entsprechende Sprache benutzt, wie es mir vorher noch nicht untergekommen ist. Ich darf vorweg nehmen, dass der Texter ein absoluter Künstler ist. Das ist hier wirklich Lyrik, verpackt in Melodien und Double Bass Salven, die zu jeder Zeit passend die Atmosphäre transportieren. Das Album reift mit der Zeit zu einem wahren Schatz, man muss ihm eben diese nur geben.
Die Lyrik und das Lyric Video
Die Texte sind wie ein Gedicht…man könnte jede Zeile nehmen und etwas dazu schreiben. So wie man es früher in der Schule in der Deutschklausur machen musste. Hefte raus, Klassenarbeit! Und das würde sich definitiv lohnen, denn es gibt so viel zu entdecken. Die Texte mit zu lesen, macht dermaßen Spaß, weil mit der deutschen Sprache sowas von umsichtig und geschickt umgegangen wird („Nach langer Irrfahrt sind wir letztlich strandlos hier gestrandet“ Und „Dort wo kein Land scheint sind wir dennoch zweifellos gelandet“)…Wortspiel reiht sich an Wortspiel, teilweise unbekannte Begriffe müssen nachgeschlagen werden („Amarokphantom“, Amarok = steht in der Sprache der Inuit für Wolf). Der Anspruch manifestiert sich in den Texten und ist nicht nur inhaltlich sondern auch lyrisch keine leichte Kost. Dort wurde gereimt und gedichtet und je tiefer man gräbt, je mehr wird man in den Bann gezogen. Daher schiebe ich das Lyric Video zum Album mal dazwischen, das in liebevoller Kleinarbeit von den Kollegen von Hot Rockin‘ TV erstellt wurde. Denn erst mit den Texten wird hier die Musik zu einem Ganzen, zu einem Kunstwerk.
I Festgefroren – Packeisfalle
Ein Mast knarrt, man hört den Wellengang, eine Gitarre stimmt zur ersten Melodie an. Dann setzt der Erzähler ein, spricht eine Einleitung, die die vertrackte Lage des Schiffes schildert („Der Gott der Finsternis trägt sein Schicksal tief hinein, ins kalte Herz der weißen Hölle“). Denn „die Wellen sind erstarrt“, das Schiff steckt im Packeis fest. Noch wird versucht, die Moral hoch zu halten („Am Ende Glorie, zweifelsohne…“). Dann ertönt ein Schrei der Verzweiflung, durch das Schlagzeug in seiner Intensität nochmals multipliziert. So starten Antrisch in die grausame Irrfahrt, mit all ihren Konsequenzen. Das erste Lied transportiert schon sehr eindringlich die Atmosphäre, die das ganze Album über dominiert. „Kälte klirrt, Hypothermie (= Abfall der Körpertemperatur), Käpt’n irrt, in Agonie“.
II Wahnrationen – Saturnusparusie
Das Lied startet hektisch, denn das Sterben an Bord steht bevor. „Die Parusie des Sichelmanns scheint greifbar“ (Parusie = Gegenwart, Anwesenheit). So ändert das Lied oft sein Tempo, bestimmt vom Schlagzeugspiel und ballerndem Double Bass, das vielleicht den Wahnsinn ausdrückt, der im Geist der Mannschaft einzieht. Oder aber das Eis, welches das Schiff in seinen Fängen hält. Beinahe unangenehme Parts wechseln sich mit melodischeren ab.
III In Perpetuum – Ewiger Schlaf im ewigen Eis
In Perpetuum (= Für Immer) ist für mich das eingängigste und am einfachsten zugängliche Lied. Sir John Franklin ist seinem Übermut zum Opfer gefallen und sein Leichnam wird dem Meer übergeben. Die ersten Textzeilen beschreiben diesen Vorgang…wie generell auf diesem Album, besonders detailreich und einfach nur grandios.
„So scheidet, der Obrigkeit mindere Wahl
das Nordlicht entfacht ihm ein Zapfenstreichfanal
gemäß dem Stand, am Weltenrand
im Prunksarg sinkt er, gruftwärts
Leichenkleid, gefror’nes Leinen
Eiskristallgeziert
Frack darunter, gemäß dem Stand
die Knöpfe blind, nichts mehr blinkt
Krypta schlingt“
Am Ende des Liedes verlassen die überlebenden die Schiffe („Franklin stirbt, Crozier geht, Fitzjames folgt“). Francis Crozier (Kommandant der HMS Terror) und James Fitzjames (Kommandant der HMS Erebus) beschließen, von Nahrungsknappheit und Kälte getrieben, die Schiffe gen Süden zu verlassen.
IIII Ultima Ratio – Antropophager Frühling
In Ultima Ratio (= die letzte Lösung) wird beschrieben, wie die überlebenden Matrosen Hunger leiden und durch das harte Dasein eine Wesensveränderung durchmachen. Schließlich gehen einige dazu über, ihre toten Kollegen zu essen („Ein Leichnam wohlfeil für die, die zehren…tot ist er sowieso“). Den Wahnsinn unterstützt durch einen Schrei und Double Bass Geballer vom feinsten. Der Song klingt in Gänze unangenehm, so wie es bei dem Thema wohl sein muss. Am Ende wird die Moral dem Zweck hinten angestellt, auch wenn es weh tut („So gedenken wir derer, in schmucklosen Messen, die wir tags zuvor unter Schuldqual gegessen. Und ich frage euch: Ist Moral daran zu messen, wer wie lange hadert vor dem ersten Bissen?“).
Der komplette Song ist ein Text, wie ein Schlag in die Magengrube. Es hat bei mir auch lange gedauert, aber inzwischen liebe ich das Lied.
IIIII Exodus | Tundrataumel – Croziers Bürde
Die letzte Hoffnung stirbt. Suchtrupps schwärmen in der Tundra aus, um einen Ausweg aus Geröll und Eis zu finden….erfolglos. So stirbt die Besatzung, einer nach dem anderen („Bis endlich auch der Letzte ist verfall’n dem Todesdrang“)…schließlich dann auch der Ich Erzähler der Geschichte („Vollends vereinnahmt vom arktischen Eis, wird mein restliches Dasein bald eins mit dem Weiß“).
So haut die Band zum Ende nochmal einen richtig guten Song raus, der die Geschichte enden lässt.
IIIIII 68° 15′ N 98° 45′ W – 68° 54′ N 98° 56′ W
Viele Expeditionen wurden erfolglos ausgesandt, um die Schiffe und die Besatzung zu finden. Das sechste und letzte Lied ist instrumental gehalten, teilweise in nachdenklicher Stimmung. Es ist benannt nach den Koordinaten, an denen man schlussendlich im Jahr 2014 die HMS Erebus und 2016 die HMS Terror finden konnte.
Fazit
Ich weiß nicht, ob ich schon mal bessere Lyrics gehört bzw. gelesen habe. Ich weiß auch nicht, ob ich schon mal eine besser Komposition von Musik und Gesang gehört habe. Auf „Expedition II: Die Passage“ wird in perfekter Sprache das Leid, der Tod, das Grauen und die Kälte zielsicher transportiert und zu absolut jeder Zeit mit den passenden Instrumenten verstärkt. Atmosphärischer Black Metal war einfach die perfekte Wahl, um ein solches Thema zu vermitteln. Davon ab, das der Texter an sich schon sehr begabt sein muss, will ich mir gar nicht vorstellen, wie viel Aufwand es war, diese Geschichte in Versen zu verfassen. Man sollte nicht sinnlos mit Punkten um sich werfen, aber 9,5 von 10 sind es einfach und keiner weniger.
Zuschlagen könnt (bzw. solltet) ihr bzgl. CDs und Vinyl direkt bei der Band KLICK.
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Bildquellen
- Antrisch_EXPII_2022_V: Antrisch
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