Schwarzer Montag – Paradise Lost in der Live Music Hall (5. Oktober 2015)
Eine Stunde vor Konzertbeginn kam die Akkreditierungs-Absage des Veranstalters. Erst mal tiiieeeef Luft holen und trotzdem nach Köln fahren. Es wird schon noch Tickets geben. Das neue Kameraequipment konnte ich dann auch zu Hause lassen, gibt’s halt keine Fotos.
War es das schon mit dem Schwarzen Montag? Nein, den schlimmeren Tag hatten definitiv Paradise Lost, aber dazu später mehr.
Nach einer Apnoe-Fahrt nach Köln, konnte ich vor der Live Music Hall angekommen, das erste mal wieder Luft holen: es gibt noch Tickets. Die eigentliche Verwunderung dabei: warum? Hallo? Da kommt Paradise Lost endlich mal mit einem Album um die Ecke, das ganz zu den Anfängen der Band führt und die LMH ist nicht restlos ausverkauft? Ach ok, es ist ja Montag – gut, das lasse ich gelten.
Also nix wie rein und dann das erste Mal große Augen: 1/3 der LMH war mit roten Tüchern abgehangen, d.h. von den 1.200 Leuten, die darin Platz finden, werden wohl ein paar wegen des Montags nicht kommen. Letztendlich haben dann ca. 500 Gäste den Weg nach Köln gefunden.
Die erste Zeit wird sinnvoll genutzt und erst mal das Publikum studiert – Durchschnittsalter 40-45 – die alte Garde die noch die Touren zu Lost Paradise, Gothic und Shades of God miterlebt haben (wie ich). Die Vorfreude steigt, denn der Gedanke an zB die Gothic Tour bringt lustige Bilder zurück. Zum Beispiel als mein Kumpel Steve, der zu dem Zeitpunkt fast jedes Wochenende als Zwillingsbruder von Nick Holmes verwechselt wurde, es vor der Bühne schafft, dass Nick mitten im ersten Song ihn ungläubig anstarrt, den weiteren Text vergisst und auch im Rest des Konzerts immer wieder staunend zu ihm rüber schaut – unbezahlbar!
Lucifer überzeugen musikalisch aber nicht immer stimmlich
Jetzt ist aber 2015 und wir sind gespannt, wie uns die 2014 gegründete Vorband Lucifer auf diesen grandiosen Doom-Abend einstimmen wird. Diese beginnen auch pünktlich um 20 Uhr und warten mit einem genialen Sound auf. Schwer, druckvoll und wunderschön doomig schallt es an meine Lauschlappen – genial! Wir sehen Gaz Jennings an der Gitarre, Dino Gollnick am Bass und Andrew Prestidge an den Drums und mit dem Rücken zum Publikum eine Gestalt mit Fledermaus-Ärmeln. Dann geht das Licht richtig an und ich freue mich: eine Front-Frau! Endlich mal wieder richtig guter Doom, á la Candlemass, aber mit einer Sängerin: Johanna Sadonis. Aber ich nehme schon mal vorweg: Johanna und ich werden keine Freunde, da nutzt auch die schwarze Glanzleggins, die langen blonden Haare und das laszive From-Dusk-Till-Dawn-Getanze nicht.
Im ersten Song passt ihre Stimme einwandfrei, die sehr klar und für eine Frau ihrer schlanken Statur, recht tief rüber kommt. Dazu noch ein sehr ordentliches WahWah-Solo von Gitarrist Gaz und die Stimmung ist perfekt. Der Song ohne Namen geht direkt über in ein ultra-slow Doom-Stück, dass mir die Ogerpelle bis zum nicht vorhandenen Haupt-Haar stehen lässt. Mich hat die Band jetzt schon gewonnen…aber huch, was jetzt? Ist das jetzt der 3. Song oder noch der 2., denn nach einem sehr seltsam holprigen Break startet eine Uptempo Nummer, bei dem der Gesang schon mal einen Halbton neben der Melodie liegt. Nach einem Übergang in das Hauptriff erkenne ich, aaaahhh, es ist noch der 2. Song. Und so langsam beginnt der Gesang der Berlinerin zu nerven, da ich gesanglich jetzt nur noch Uuuuuuhhh’s und Aaaaaah’s präsentiert bekomme, aber da ist der Track auch schon zu Ende und endlich kommt eine Ansage. Sie sind Lucifer aus Berlin und London und der nächste Song heißt standesgemäß Sabbath.
Der Song beginnt mit einem sehr schönen, schweren Riff und Fr. Sadonis bleibt dabei, ihrer Stimme keine Abwechslung zu verleihen und bleibt wie ihre Performance, statisch auf einer Linie. Bei den guten Gitarren-Soli fällt allerdings auf, was der Band fehlt: eine 2. Gitarre, denn der doomig-tragende Klangteppich verliert natürlich direkt an Volumen, wenn Gitarrist Gaz ein Solo startet.
In den Liedpausen, spricht Sängerin Johanna nicht gerne, das merkt man; wo wird zum Beispiel in einer Pause ohne große Emotion, die Namen der Bandkollegen vorgestellt – weiter geht’s mit White Mountain, bei der Basser Dino sich – mit Verlaub – den Allerwertesten abspielt. Gesanglich sind wir jetzt bei Aaaah’s und Oooooh’s angekommen. Ansage nach dem Song: „ich bin ja in Köln und sollte lieber Kölsch trinken. Ich trinke aber lieber Vodka.“ und nimmt dann einen großen Schluck Cola – hach, Show und Realität!
Beim nächsten Song Morning Star fällt bei mir der Groschen: Das Ziel des Gesangs ist jeden Vokal in den Texten mindestens 5 Sekunden zu halten – ok, kann man machen, klingt aber bescheiden.
Beim letzten Song Israel passt es endlich wieder, da sie sich anscheinend mit Gitarrist Gaz auf einen zu treffenden Ton einigen konnte und sogar Basser Dino darf jetzt mal am Mikro Aaaah’s machen. Wildes Drum-Finale – feddisch – knappe 40 Min. Spielzeit.
Mit der ersten und letzten Nummer bin ich etwas versöhnlicher gestimmt, aber die Band sollte sich schleunigst einen 2. Gitarristen zu- und Sängerin Johanna an Vokal-Jonglage ablegen. Musikalisch ist diese Band ein echtes Brett und der Sound war für eine Vorband nahezu perfekt. Ich denke, dass diese Band noch ordentlich Potential nach oben hat und vieles vielleicht auch Nervosität geschuldet ist.
Jetzt aber der Grund, warum ich in die Live Musik Hall gekommen bin:
Paradise Lost, Helden meiner Jugend!
Es wird noch 30 Min. umgebaut und an den Amps gewackelt immer mit dem Blick auf das Mischpult und da ich daneben stehe, sehe ich dass da wohl noch nicht alles so sauber läuft. Ich sollte leider recht behalten.
Mit No Hope In Sight vom neuen Album The Plague Within starten die Briten und das Publikum ist trotz miserablen Sounds direkt mit von der Partie. Die klaren Vocals von Sänger Nick Holmes kommen sauber aus den Boxen, aber der Mischer rechts von mir regelt sich gerade zu Tode und kommt schwer ins Schwitzen – irgendwas stimmt da nicht.
Bei dem 2. Song Widow vom `93 erschienenen Album Icon wird es dann deutlich. Nick bewegt die Lippen, aber kein Ton. Erst in der 2. Textzeile kann man dann seine Stimme erahnen. Dafür bläst uns jetzt die Gitarre von Lead-Gitarrist Gregor Mackintosh den Staub aus den Ohren. Der Blick nach rechts sagt, der Mann am Mischpult ist etwas hektisch – zurecht!
Das Publikum feiert aber trotzdem, als gäbe es kein Morgen und bei Rhythmus-Gitarrist Aaron Aedy stellt sich das bekannte Dauergrinsen ein, wenn er etwas geil findet.
Kurze Ansage und ich freue mich, wie ein 15-jähriger vor dem ersten Mal: Gothic, sie spielen es. Alleine die Ankündigung reicht für eine Ogerpelle erster Klasse und dann passiert es. Innerhalb der ersten 30 Sekunden ist die Gitarre von Gregor weg und Paradise Lost müssen den Song abbrechen. Nick nimmt es mit Humor:“Sorry guys, this was the remix. This happend the first time ever“. Danach sitzt der Song aber perfekt und soundtechnisch ist er diesmal sogar ok. Ich bin mit einem Schlag wieder 18 – danke für diesen Moment!
Mit Terminal vom neuen Silberling geht es weiter. Sänger Nick fragt, ob alle die neue Platte mögen und wenn nicht… hier beendet er grinsend den Satz. Der Sound ist wieder einen Ticken besser, dafür ist Nicks Stimme mal wieder weg, um kurze Zeit später viel zu laut und übersteuert aus den Boxen knallt. Jetzt sind erstmalig auch Knacken und Feedback-Pfeifen von Mikro zu hören – WTF!?! Der Blick von Nick geht erstmal über das Publikum zum Mischer und ein deutliches Kopfschütteln an Selbigen ist zu erkennen. Alles klar, auf der Bühne muss ein Monitor-Boxen-Sound-Chaos herrschen, dass die Jungs aber versuchen einfach wegzuspielen – Profis halt.
Bei Erased schaue ich direkt zum Mischer und sehe, dass er erst den Mikro-Regler hoch schiebt, wenn Nick’s Lippen sich bewegen. Mir schwant, dass der Mann weder die Band noch das Set kennt.
Mit Praise Lamented Shade gehen die Briten in das Jahr 2007 zum Album Requiem. Nick singt hier zu Beginn furchtbar falsch. Fällt natürlich auf, da der Song sehr ruhig startet. Dann der Blick ans Mischpult und der Zeigefinger nach oben – alles klar, der Monitor ist zu leise. Der Sound der Band ist jetzt perfekt und ab dem 2. Refrain ist der Gesang auch wieder top.
Bei Victim Of The Past leider genau wieder das gleiche Spiel. Bandsound top. Stimme weg und dann erst wieder da, wenn Nick bereits in der Strophe ist. Dank des Publikums wird aber hier auch mitgesungen und Aaron feiert auf der rechten Bühnenseite mit den Fans seine eigene Party.
Mit Enchantment vom `95er Album Draconian Times geht es weiter. Keyboard-Intro kommt vom Band und leider auch nur zu erahnen. Mittlerweile bin ich felsenfest überzeugt, dass der Mischer entweder das erste mal Paradise Lost, oder überhaupt mischt. Das hindert Aaron und Drummer Adrian nicht, bei dem Song wild abzugehen, obwohl es eher eine ruhigere Nummer ist. Wahrscheinlich haben die Jungs längst verstanden, dass sich das technische Chaos nicht mehr abwenden lässt und machen jetzt das Beste daraus.
Mit dem Start der Uptempo Nummer Flesh From Bone klatscht auch das Publikum ordentlich mit und geht dann perfekt headbangend ab. Erste und letzte Crowdsurferin des Abends und Nick hat seinen Spaß. Der Mischer bekommt zum Ende dann auch mal mit, dass da Chöre vom Band kommen und zieht die Regler etwas hoch.
„Fuck, I wish I had long hair“, so Nick lachend nach dem Doublebass-Gewitter und das Publikum feiert ihn.
Die Ankündigung zum nächsten Song sorgt wiederum für einige Lacher. „Next song is the slowest song we’ve ever written“. Ein Zuschauer vorne „wie echt jetzt?“ und Nick: „yeah, really! Promise!“ und wir kommen in den Genuss der Ultra-Doom Nummer Beneath Broken Earth von The Plague Within. Der Genuss dauert genau 15 sek. und sie müssen wegen technischer Probleme abbrechen. Die Gitarre von Gregor scheint auf dem Monitor wieder weg zu sein, denn Aaron und er spielen gerade unterschiedliche Songs. Kurzer Check, dann wird neu gestartet und jetzt stimmt auch das Mikro und der Song kann sauber und schwer vorgetragen werden und kommt sehr gut beim applaudierenden Publikum an.
Als 11. Song kommt er endlich: As I Die vom `92er Album Shades Of God und schwupps ist Aaron’s Gitarre weg und von Basser Steve Edmondson fällt der Amp vom Marshall-Turm. Fuck up hoch 10, man sieht es an den Gesichtern der Jungs aus Halifax, aber das Publikum will keine schlechte Stimmung aufkommen lassen und gröhlt des Song lauthals mit. Auch ich kann mich nicht zurück halten und will den Jungs zeigen, dass wir hinter ihnen stehen.
Zum Abschluss hören wir noch Requiem, also die Chöre hören wir nicht, aber man erkennt den Song an den Gitarren. Interessanterweise wird bei dem Song an sehr seltsamen Stellen ein Sub–Bass eingesetzt, was mich eher verwirrt hat.
Die Band geht ab, nur Gitarrist Aaron Aedy bleibt noch eine gute Minute auf der Bühne stehen und feiert das Publikum. Backstage wird jetzt wahrscheinlich erst mal ordentlich abgeflucht, bevor man für die Zugaben auf die Bühne kommt. Man möchte das Publikum nicht lange warten lassen, dafür hat es die Band zu sehr durch den chaotischen Abend getragen. Vielleicht will man auch einfach schnell fertig werden.
„Seems we have the monday blues“, so Sänger Nick zu den Gästen.
Return To The Sun vom neuen Album eröffnet die Zugabe. Und….es passt! Man hört die Chöre vom Band, die Briten haben einen super Sound und auch Nick klingt perfekt. Sollte ich noch ein versöhnliches Ende bekommen?
Leider nein, denn bei dem folgenden Song Faith Divides Us des gleichnamigen Albums, spielt der Mischer wieder DJ an den Reglern – kann dem nicht einfach mal einer auf die Finger kloppen. Erst ist das Mikro wieder off und dann bläst es einem die Ohren weg.
An Eternity Of Lies als vorletzte Nummer kommt allerdings wieder solide aus den Boxen und das Publikum bedankt sich artig.
Und dann spielen Paradise Lost noch einen ihrer erfolgreichsten Songs zum Abschluss: Say Just Words von One Second aus dem Jahr 1997. Das Publikum flippt noch mal richtig aus und irgendwem sei gedankt, dass hier der Sound stimmt.
Eine Achterbahn der Gefühle!
Holla the Woodfairy, was für eine Achterbahnfahrt. Paradise Lost haben sich echt herzlich beim Publikum bedankt. Man merkte der Band aber auch an, dass sie froh über das Ende des Abends waren. Man kann aber auch sagen, dass die Briten trotz der langen Zeit im Business immer noch herrlich frisch rüber kommen und allen Widrigkeiten trotzen um mit dem Publikum zu feiern. Musikalisch war es eine schöne Reise durch die 16 Alben der Band und die Titel sehr gut ausgewählt.
Ich habe dann noch mit Leuten aus der 1. Reihe gesprochen, die mir bestätigten, dass auf der Bühne ein Soundchaos erster Klasse herrschte und sie vorne den Gesang nur aus den Monitoren gehört haben und dann hin und wieder die Monitore mal rechts und mal links einfach weg waren. Wenn man das alles berücksichtigt, war es ein tolles Konzert. Wenn man Paradise Lost aber zum ersten Mal gesehen haben sollte, würde mich es nicht wundern, wenn man auf kein Konzert der Jungs mehr gehen möchte – echt mehr als schade.
Ich werde ab jetzt im Kofferraum immer eine Sackkarre und eine Zwangsjacke dabei haben. Sollte ich bereits beim Reinkommen den Mischer wieder erkennen, dann steht der, in guter alter Hannibal Lector Manier den Abend auf der Sackkarre festgebunden in der Ecke. Dafür verbürge ich mich mit meinen guten Armen…äh meinem guten Namen!
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Bildquellen
- Paradise Lost – The Plague Within cover: amazon.de
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