HUMAN ABYSS: Death Metal über Traumata ihres intersexuellen Frontmenschen
Mit ihrem zweiten Album „Death Obsessed“, das am 21. März 2024 das Licht der Welt erblickte, stößt die Metal-Band HUMAN ABYSS in neue klangliche Dimensionen vor. Live zu hören am kommenden Freitag, 5. April 2024 in Berlin (Ort: in der Klinke, zusammen mit Call of Charon) und dann am 4. Mai 2024 nochmal in Berlin zusammen mit Ancst (Ort: Neue Zukunft). Hinter den energiegeladenen Tracks verbirgt sich eine tiefgreifende Authentizität und Ehrlichkeit, die Hörende unmittelbar berührt. Wie schon beim Debüt „Anatomy of Anxiety“ (2022) sind auch die Songs des neuen Albums geprägt von den persönlichen Traumata und Erfahrungen des intersexuellen Frontmenschen Lynn.
Doch was bedeutet Intersexualität eigentlich? Intersexualität bezieht sich auf angeborene biologische Variationen, bei denen ein Mensch Merkmale aufweist, die nicht eindeutig männlich oder weiblich sind. Diese biologische Vielfalt kann für Betroffene eine Vielzahl von Herausforderungen mit sich bringen, angefangen bei medizinischen Interventionen bis hin zu sozialen und psychischen Belastungen. Darum geht es im folgenden Interview mit Lynn von HUMAN ABYSS.
Triggerwarnung: Thema Suizid. Wenn Sie darüber nachdenken, sich das Leben zu nehmen, oder mit jemandem reden möchten – hier finden Sie Hilfe: Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern lauten 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222. |
Lynn von HUMAN ABYSS im Interview
MH: Wie und wann hast du entdeckt, dass du intersexuell bist, und wie hat sich das auf dein Leben in der Folge ausgewirkt?
Lynn: Entdeckt wurde meine Intergeschlechtlichkeit bei meiner Geburt. Es folgten viele Operationen, die meinen Körper an das weibliche Geschlecht optisch angleichen sollten. Mein Hoden und Eierstock wurden entfernt, als auch mein äußeres Genitale wurde weitgehend dem weiblichen angeglichen, was schlicht bedeutete, dass sie mir den Penis abgeschnitten haben. Das Schlimmste ist, dass keiner dieser OPs eine medizinische Notwendigkeit hatte. Abgesehen davon, dass es sich hier um tief traumatisierende Erfahrungen handelt, ist mein Körper bis heute nachhaltig stark geschädigt.
MH: Wie haben deine Intersexualität und Deine spezifischen Erfahrungen damit aus Deiner Kindheit, Jugend und als junge erwachsene Person deine musikalische Reise beeinflusst? Wie behandelt deine Musik die emotionalen Herausforderungen, die mit deiner Intersexualität verbunden sind?
Lynn: Letztendlich hat mir Metal das Leben gerettet. Mit zehn entdeckte ich „Master of Puppets“ von Metallica, mit elf Jahren dann Slayers „Reign in Blood“. All die Gewalt die ich erlebte, die Wut und dieses endlose Grauen konnte ich dort wiederfinden, aber nicht als eine Wiederholung, sondern als Transformation von Ohnmacht hin zu Lebenskraft. Damals war ich sehr suizidal, das spielt besonders in unserem Album „Death Obsessed“ eine Rolle.
Lynn von HUMAN ABYSS: „Metal zu spielen, macht mich frei und lebendig!“
Lynn: Schon in frühen Jahren wurde meinen Eltern erzählt, dass ich nicht alt werden würde. Das waren alles Lügen, um mit der dabei entstehenden Angst die Behandlungen und Operationen durchzusetzen. Das ist eine übliche Praxis von der viele Betroffene berichten. Das macht was mit dir als Kind. Als Jugendlicher erzählten mir Mediziner vergleichbare Botschaften, sogar nach all der Traumatherapie beschäftigt es mich immer noch. Ist es morgen soweit? Oder erst in einem Jahr? Oder doch erst in 40 Jahren? Als ich anfing zu shouten und meine Frustration in Texte goss, erlebte ich, wie angemessen Deathmetal doch ist für diese Art der Emotionen. Metal zu spielen, macht mich frei und lebendig!
MH: Wie haben deine Fans und das Publikum auf deine Musik und deine Botschaft reagiert? Gab es andere intersexuelle Menschen, die bereits auf Deine Musik reagiert haben?
Lynn: Das Feedback ist tatsächlich überwältigend. Viele mögen die gnadenlose Ehrlichkeit und Härte in unserer Musik, andere fühlen die Themen die verhandelt werden mit. Ob Inter oder nicht, viele scheint es abzuholen und einen Nerv zu treffen. Tatsächlich gibt es einige intergeschlechtliche Menschen, die unsere Musik als heilsam und bestärkend erleben. Viele Inters hören ja nicht derart harte Musik und trotzdem bewegt es alle, dass es nun endlich eine Interfronted Metalband gibt. Da geht es auch um Teilhabe und Sichtbarkeit.
Schafft die Musik von HUMAN ABYSS ein Bewusstsein für intersexuelle Themen?
MH: Hast du bereits in irgendeiner Form wahrgenommen, wie deine Musik das Bewusstsein für intersexuelle Themen und Erfahrungen erhöht hat?
Lynn: Es ist schwierig zu messen, wie viele der Hörer es tatsächlich bewusst aufnehmen. Das ist auch auf irgendeiner Weise uns nicht wichtig. Die Musik spricht für sich. Das Publikum, ob bewusst oder nicht, sieht und hört einen Inter und schreit Texte mit, die ein Inter geschrieben hat. Das alleine ist bereits eine einzigartige Erfahrung für alle Beteiligten. Manche schauen dann näher hin und plötzlich geht eine ganze Welt auf.
MH: Wie kam die Kooperation mit Britta Görtz zustande, die Gastvocals auf Deinem neuen Albums beisteuerte?
Lynn: Britta und ich haben uns beim Vocal-Coaching während der Pandemie kennengelernt. Darüber ist eine Freundschaft entstanden. Eines Morgens unter der Dusche kam mir dann die Idee, Britta einfach zu fragen, ob wir nicht „Cut“ zusammen singen wollen. Manchmal bin ich etwas direkt und ungefiltert und habe die Anfrage gleich rausgeschickt. Prompt kam die Antwort mit einem eindeutigen „JAAA!“. Es bedeutet mir sehr viel das Britta den Song, aber auch die Thematik unterstützt! Das Ergebnis ist der Hammer geworden!
HUMAN ABYSS: Crowdfunding für das aktuelle Album
MH: Das aktuelle Album „Death Obsessed“ ist am 31.03.2024 erschienen. Dazu läuft noch eine Crowdfunding-Kampagne bei Startnext. Was hat es damit auf sich und was willst Du mit dem Crowdfunding realisieren?
Lynn: Richtig, das Album ist schon draußen und wirbelt ordentlich! – Das Crowdfunding dient zur Unterstützung der Finanzierung der Produktion und des Marketings von „Death Obsessed“. Die Kampagne geht noch bis Ende April. Wir sind eine independent Band und müssen alles selbst stemmen, was erhebliche Summen sind. Supporter können sich attraktive Gifts aussuchen, die sie als Gegenleistung für ihre Spende bekommen. Darunter sind exklusiver Merch, als auch eine wunderschön designte Vinyl 12″. Jeder Euro hilft tatsächlich!
MH: Engagierst du dich neben deiner Musik auch aktiv für die Rechte und Sichtbarkeit intersexueller Menschen? Welche Veränderungen würdest du gerne in der Gesellschaft sehen, um die Situation intersexueller Menschen zu verbessern?
Lynn: Die Musik sehe ich tatsächlich nicht als Aktivismus, obwohl natürlich das in sich schon ein politischer Akt ist, wenn ich die Bühne betrete. Aber so ist das auch schon mit meiner bloßen Existenz. Viele Jahre habe ich mich aktivistisch engagiert und kooperierte unter anderem mit öffentlich-rechtlichen Medien, wie ARD, WDR, ARTE, SWR als auch Netflix und Zeitungen wie „Die Zeit“. Meine Geschichte wurde sogar mal im Bundestag vorgetragen im Zuge der Debatte über das Operationsverbot, welches dann auch verabschiedet wurde. Jetzt mache ich „nur“ noch Musik, engagiere mich innerhalb der Community und berate als Peerberater ehrenamtlich Betroffene.
Die Geschichte von Lynn von HUMAN ABYSS wurde sogar im Bundestag vorgetragen
Lynn: Ich habe großes Verständnis für die Blindheit unserer Gesellschaft gegenüber Menschen, die nicht männlich oder weiblich geboren wurden. Wir bekommen es ja nicht anders beigebracht, ganz im Gegenteil. Die Gesellschaft muss trotzdem lernen, dass 1,8% der Menschen in Deutschland intergeschlechtlich, also mit männlichen UND weiblichen Geschlechtsmerkmalen geboren wurden. Das sucht sich niemand aus. Mich verwundert auch, dass unsere Existenz überhaupt debattiert wird, schließlich lässt sich das physisch feststellen. Allerdings muss es aufhören, dass Gesunde mithilfe von Krankenkassen-Geldern krank operiert werden, damit sich nicht-betroffene Menschen weiterhin in einem binären Geschlechtskonstrukt aufhalten können. Das ist einfach nur Irre! Ich wünsche mir, dass alle Menschen egal welches Geschlecht respektiert werden und deren Menschenrechte und körperliche Unversehrtheit geachtet werden. Inters gab es immer schon und wird es immer geben, so oder so.
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Bildquellen
- HumanAbyss_Bandfoto1: Human Abyss
- HumanAbyss_DeathObsessed: Human Abyss
- HumanAbyss_Bandfoto2: Human Abyss
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