Dream Theater „The Astonishing“ – VÖ: 29.01.2016

Vielleicht das größte Meisterwerk seit der Erfindung des Konzeptalbums
Mit 34 Songs entführen uns die bescheidenen Großmeister des Progressive Rocks auf „The Astonishing“ in eine retromoderne Welt – inhaltlich und klanglich. Das Fieber der Fans stieg rapide an, als die ersten Informationen, dass Dream Theater an einem neuen Konzeptalbum arbeiten, durchsickerten. Die metal-heads.de hatten bereits im Dezember 2015 die exklusive Gelegenheit zu einem Interview mit dem Tastenhexer Jordan Rudess (hier nachzulesen auf metal-heads.de). Als dieser uns dann einen Einblick in die Story und die musikalische Umsetzung gab, war es schon absehbar: Mit „The Astonishing“ liefern Dream Theater ein episches Konzeptalbum ab, welches nicht im Schatten von „Metropolis Part 2: Scenes From A Memory“ stehen wird, sondern für sich gesehen ein ganz neuer Meilenstein der Band sein wird. Als wir dann im Voraus die Möglichkeit erhielten, das Werk in seiner Gänze zu hören, gab es kein Halten mehr. Wenn man bei der obligatorischen instrumentalen Einleitungs-Suite bereits zweimal eine Gänsehaut bekommt (Kenner wissen, dass hier eigentlich immer schon alle tragenden Melodiebögen des Albums vorgetragen werden), dann ist das schlicht und ergreifend grandios! Wir verzichten hier bewusst auf Story Spoiler, schließlich wollt Ihr die Geschichte ja noch selbst erkunden und kennenlernen.
Beseelte Klänge in neuem Gewand
Lasset uns dankbar sein dafür, dass diese Band nicht krampfhaft versucht, das Rad der eigenen Musik neu zu erfinden. Nein, John Petrucci & Co ziehen ihre besten Trümpfe und entfernen sich gekonnt von untauglichen Sound-Eskapaden. Das heißt zum einen, dass der Härtegrad reduziert wird sowei die Melodien in den Vordergrund gespielt werden, und andererseits, dass man konsequent auf unnötig lange instrumentale Passagen verzichtet. Solche hat „The Astonishing“ auch gar nicht nötig, denn die Mannen des Traumtheaters zelebrieren ihre Songs auf allerhöchstem Niveau – besser und beseelter als je zuvor! Die gesamte Performance wirkt authentisch und ergreift den Hörer direkt.
Endlich zu Hause bei der Tour De Force
Das Werk wirft ein besonders helles Licht auf Mike Mangini und James LaBrie. Fassen wir hier mal kurz zusammen: Mangini trommelt sich massiv aus Mike Portnoys Schatten, liefert einfühlsame, eigenständige Passagen, ohne dem Vorgänger in irgendeiner Weise nachzueifern. Sänger James LaBrie liefert mit „The Astonishing“ seine persönliche Tour de Force ab. LaBrie hatte schon immer die große Fähigkeit, Emotionen zu transportieren, er war aber nie der größte Shouter oder die rauheste Rockröhre. Und endlich machen es Dream Theater richtig: Alle Songs wirken wie maßgeschneidert für den Stimmbandakrobaten. Seine Melodiebögen sind erstklassig, die Tonlagen perfekt gewählt und die Inhalte der einzelnen Songs hätte wahrscheinlich kein anderer Sänger dieses Planeten besser interpretieren können als Mr James LaBrie.
Es geht los
Alarm schwirrt uns um die Ohren, Maschinen justieren sich, die Nomacs kommen und scannen die Umgebung. Es vergehen nur wenige Momente, bis wir mit der „Dystopian Overture“ durch die Melodien des Albums geführt werden. Es dauert keine 48 Sekunden und John Petrucci spielt die erste herzzerreißende Melodie, während Jordan Rudess elegant über die Tasten fliegt. Hier fällt schon auf, dass die orchestralen Elemente zu echten Ear Catchern werden, denn die zweite tragende Melodielinie wird von den Winds dargeboten, und dann hören wir ihn zum ersten Mal – diesen himmlischen ECHTEN Chorgesang! Nein, so klingt kein Plug-In dieser Welt, so wird nie ein Plug-In klingen. Die Herren Dream Theater tischen fett auf in diesem ersten Instrumental, das mit 4:50 Minuten eine absolut entspannte und kurzweilige Unterhaltung und Einführung bietet.
Das Geschenk der Musik, die Leidenschaft großartiger Musiker
Die Fans haben die erste Vorab-Single natürlich schon längst gehört. „The Gift Of Music“ kommt fantastisch positiv durch die Lautsprecher. Es erinnert ein wenig an „Solitary Shell“ vom Album „Six Degrees Of Inner Turbulence“, ist aber kompositorisch intelligenter aufgebaut. James LaBrie weiht uns direkt ein, die Menschen haben keinen Bezug mehr zur Musik, doch es gibt ihn, den Erlöser „Gabriel“, der diese außergewöhnliche Gabe besitzt…nein wir verraten nicht zu viel! Mit dem darauf folgenden „The Answer“ zeichnet die Band diesen unbefangenen Sound, den man aus manchem amerikanischen Film kennt: verträumt, ein fröhlicher Storyteller, der nach knapp zwei Minuten mit wunderschönen Geigen ausklingt.
Charakterspiel mit sanften Klängen
Musikalisch muss man es sich so vorstellen, dass James LaBrie praktisch jeden Charakter annimmt und den Gesangsstil dementsprechend anpasst. So liegt ihm die Vorstellung von „Lord Nafaryus“ im gleichnamigen Song sicherlich sehr am Herzen, tobt er sich hier doch nach Herzenslust gesanglich aus. Hier geht es von Tango bis Metal! Die Band schafft es perfekt, die Szenerien zu jedem Song aufzubauen. Die Ankunft des Lords klingt natürlich majestätisch und mysthisch zugleich und solche Parts tragen die Handschrift eines musikalischen Masterminds namens David Campbell, dem Erfolgsproduzenten, der schon Künstlern wie Adele eine musikalische Handschrift verlieh. Mit der Wahl von Campbell haben Dream Theater alles richtig gemacht. Immer wieder bilden eingängige Refrains perfekte Brücken zu Atmosphärenwechseln. Man nimmt sich in regelmäßigen Abständen Zeit, die Geschichte seicht begleitet von Klavier und Streichern zu erzählen und elegante Übergänge zu bilden.
Schnell ist man als aufmerksamer Zuhörer in der Lage, die einzelnen Protagonisten alleine am Stil der Musik zu unterscheiden. Der einzige „witzige“ Ausflug wird auf „Three Days“ unternommen, wenn die Musik wenige Sekunden vor Ende des Stücks in diesen Gimmick-artigen Saloon-/Jahrmarktsound ausbricht.
Wir können dich hören, Bruder!
„Brother Can You Hear Me“ liefert uns die erste bombastische Hymne. Man kann jetzt schon antizipieren, wie das Publikum diese Stelle feiern wird. Der Auftakt erinnert ein wenig an das Finale von „The Spirit Carries On“. Eine wunderschöne Ballade, mit tollem analogen Piano, und exzellenten Lyrics. Mit tiefer gestimmten Instrumenten legen Gitarrist John Petrucci und Bassist John Myung einen rhythmisch akzentuierten Teppich. Wie solche musikalischen Puzzleteile verschiedener Stile sinnvoll zusammengeführt werden, wird wohl Dream Theaters Geheimnis bleiben.
Gelungene Reise an neue musikalische Ufer
Es fällt besonders auf, dass Keyboarder Jordan Rudess so gar nicht in gewohnte Spielmuster verfällt. Gleiches gilt für John Petrucci, der mit tollem Sound spielt. Wie eingangs beschrieben, erfinden die Musiker sich nicht neu! Sie passen sich eher soundmäßig den weichen Soundcharakteristika der anderen Instrumente an. Am perfektesten gelingt dieses bei „Chosen“ und „A Tempting Offer“, welche von den Soundsamples fast schon ein wenig an „Scenes From A Memory“ erinnern.
Höchster Hörgenuss bis ans Ende
„The Astonishing“ führt uns durch alle seelischen Ups und Downs der Figuren, der drastischste Break allerdings erwartet uns beim 27. Song mit „The Walking Shadow“. Versetzte Rhythmen, emotional aufgeladener Gesang und dann passiert es…
„My Last Farewell“, eine treibende Nummer, die durch Manginis punktgenaues Spiel auf einen instrumentalen Peak getrieben wird. Dem steht der 32. Song „Our New World“ in nichts nach. Eine wahnsinnig geniale Nummer, die von Popmelodien untermauert wird.
Man braucht nicht immer einen Stürmer
Auf „The Astonishing“ haben Dream Theater es geschafft, ohne jegliche persönliche Spotlights und Stürmer-Egos auszukommen. Das Werk klingt so unfassbar offen und frisch, das Zusammenspiel der Musiker so homogen, dass es eine wahre Freude ist, diesen musikalischen Opus in seiner Gesamtheit zu genießen. Alles wird von der schönen Geschichte getragen, die jedem Musikliebhaber ans Herz gehen dürfte. In jeder Note spürt man die Leidenschaft der Musiker. Bei Konzeptalben ist der Zusammenhang der Nummern untereinander natürlich immer größer als auf einem regulären Album. Dennoch werden sicherlich einige der Songs ihren Weg ins reguläre Programm der Band schaffen, wenn die Tour, auf welcher die Band das Album in seiner Gesamtheit spielt, erst einmal vorbei ist.
Apropos Tour: Schon bald kommen Dream Theater nach Deutschland und werden sicherlich auch eine abgepasste Bühnenshow zu „The Astonishing“ mitbringen. Lasst Euch die Gelegenheit nicht entgehen, die Komplettdarbietung um die Geschichte des Auserwählten „Gabriels“ live zu sehen.
Zum Schluss gibt es von metal-heads.de auch eine Schulnote für das Album
„The Astonishing“ setzt neue Maßstäbe, wir sind gespannt, wie es weitergehen wird….für dieses Album gibt es jedenfalls erstmal die Schulnote 1+!
Tourdates:
Hannover – 04.03.2016
Berlin – 09.03.2016
Bochum – 10.03.2016
Nürnberg – 14.03.2016
Frankfurt a.M. – 15.03.2016
Stuttgart – 22.03.2016
http://www.dreamtheater.net/
https://www.facebook.com/dreamtheater
http://de.roadrunnerrecords.com/
Bildquellen
- DreamTheater: www.amazon.de
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