CHAPEL OF DISEASE im Interview
Interview Teil 1
Heute präsentiere ich euch ein Interview mit CHAPEL OF DISEASE, einer Band aus Köln, der es gelungen ist, mit unglaublicher Leichtigkeit Genregrenzen zu überschreiten. Über eine Death Metal – Grundstruktur legen sich teilweise fast zerbrechlich wirkende Melodien. Und dabei werden die Songs durch groovende Rhythmen vorangetrieben. Cedric Teubl, der zusammen mit seinem Bruder Laurent hauptsächlich für das Songwriting verantwortlich ist, hat mir nicht nur auf Fragen zur Band und den Songs geantwortet, sondern auch zur Literatur als Inspiration für Songtexte, den Umgang mit Sprachlosigkeit sowie über Repetitives in der Kunst und der Musik von CHAPEL OF DISEASE. Da es ein umfangreiches Interview geworden ist, das viele interessante Aussagen und Denkanstöße enthält, habe ich es ausnahmsweise in zwei Teile aufgeteilt. Lest also heute den ersten und morgen den zweiten Teil.
Uns war schon bewusst, dass wir Grenzen sprengen
MH: Ich habe euch zuletzt in der Essigfabrik live erlebt und war begeistert von eurer leichten und selbstverständlichen Art, Death Metal mit ordentlichem Drive zu spielen. Besonders auffallend sind die klassischen Rockelement, Heavy Metal Riffs in den Songs und der Klang der Gitarren.
Wie ist es dazu gekommen, dass ihr Hard-Rock-Melodien und Heavy Metal Elemente in ein Death Metal Gerüst eingearbeitet habt? War das ein Kalkül, die Elemente zu verbinden, um einen neuen Klang zu schaffen oder hat sich das aus dem entwickelt, was ihr gerne hört/in anderen Bands gespielt habt?
CT: Eine gute Frage, die gar nicht mal so leicht zu beantworten ist. Wir empfanden den Prozess als sehr natürlich und aus kreativer Sicht sehr befriedigend. Ich bin
geneigt zu sagen, dass es weniger Kalkül war und mehr ein natürlicher Flow an Kreativität, gepaart mit mehr Selbstsicherheit als Band und Songwriter. Jedoch muss ich auch eingestehen, dass uns schon sehr bewusst war, dass wir Grenzen sprengen, was das Genre Death Metal angeht und wir dies auch angestrebt haben. Uns war bewusst, dass wir mit den neuen Stücken andere Terrains betreten werden und auch wollen. Im Endeffekt kann ich sagen, dass der Entwicklungsprozess schon lange vor der dritten Platte angefangen hat und sich über die Jahre natürlich bei allen Bandmitgliedern entwickelt hat. Und natürlich haben da auch die Hörgewohnheiten, welche sich ja immer weiterentwickeln, eine große Rolle gespielt.
„Das war gut, aber jetzt müssen wir neue Wege gehen“
MH: Auf euren Alben sind die Death Metal Wurzeln stark ausgeprägt und sorgen für Ecken und Kanten, an denen man sich stoßen und aufreiben kann. Und denn dennoch strahlen z.B. die Songs auf auf „The Mysterious Ways of Repetitive Art“ eine Ruhe und Gelassenheit aus, über die sich jeweils ein dynamischer Spannungsbogen zieht. Auf „…And As We Have Seen The Storm, We Have Embraced The Eye“ sind die Songs abwechslungsreich, vielschichtig und dabei unglaublich groovend und spannend.
Was hat es euch möglich gemacht, den klassischen Death-Metal- Rahmen zu sprengen, einen neuen ganz eigenen Weg zu gehen?
CT: Ich sehe die Aufnahme und den Release des ersten Albums als wichtigen Meilenstein darin. Als wir die Songs herausbrachten, von denen wir einige bereits vier Jahre lang geprobt hatten, wirkte das auf
mich befreiend und kreativ beflügelnd. Ich weiß noch, dass mein Bruder und ich quasi gleichzeitig sagten „Das war gut, aber jetzt müssen wir neue Wege gehen“. Und das meine ich überhaupt nicht abwertend dem Debut gegenüber, da ich es immer noch liebe und alles darauf schätze. Für uns war danach nur klar, dass wir unser Statement mit den Songs gegeben haben, uns aber nicht wiederholen sondern ausprobieren wollen. Daher kommen wohl auch die von dir angesprochene Gelassenheit und die Spannungsbögen. Wir haben zu dem Zeitpunkt viel Zeit damit verbracht, zu jammen und zu sehen, was passiert, wenn wir Strukturen wiederholen, ziehen oder durch den Rhythmus abändern. Durch all diese Prozesse und die Zufriedenheit, die wir daraus gezogen haben, konnten wir uns stetig weiterentwickeln. Beim letzten Album konnten wir schon während der Songwritingphase sagen, dass es anders wird. Dass es Genres vermischt, Grenzen überschreitet. Es war auch klar, dass wir all unsere Energie und Sorgfalt in die Songs stecken. Und dass wir mit gesunder Selbstkritik an die Arbeit gehen. Das Ergebnis ist überwältigend, auch wenn die Zeit dahin nicht immer einfach war.
Erwachsene Experimentierfreude
MH: Ist darin auch so etwas wie das Reifen/’Erwachsenwerden‘ der Band zu erkennen? Oder spielt eher das ‚kindliche‘ Experimentieren eine Rolle?
CT: In der Tat würde ich hier sagen, dass beides eine Rolle gespielt hat. Natürlich werden wir alle älter, lernen neue Dinge und verändern auch gewisse Ansichten.
Ebenso verbessern wir uns auch an unserenInstrumenten und der Kunst des Songschreibens. Dies ist definitiv ein Kernelement, das das Album so klingen lässt, wie es jetzt ist. Das Experimentieren, Ausprobieren und die gewisse Naivität sind jedoch auch noch vorhanden. Was nicht heißt, dass wir ohne Nachdenken an die neuen Lieder gegangen sind. Wir haben eben immer wieder probiert, wie sich die Songs verändern, wenn der Rhythmus anders ist oder das Riff langsamer gespielt wird.
MH: In welcher Hinsicht war es für euch eine Herausforderung, die Genregrenzen aufzulösen?
CT: Uns war und ist schon bewusst, dass wir uns nicht „nur“ im Death Metal Lager aufhalten. Das wollen wir auch gar nicht. Daher fiel es uns leicht, über Genregrenzen hinwegzusehen und die Songs einfach als gut geschriebene Stücke anzuerkennen. Es ist auch nicht so, dass wir uns nicht zu den extremeren Stilen hingezogen oder angehörig fühlen. Wir möchten uns jedoch die Freiheit lassen, das zu spielen, worauf wir Lust haben. Eine Herausforderung war es, die Songs zu lernen und wirklich wirklich tight zu spielen. Es wurden unzählige Stunden damit verbracht, genau darauf zu achten, dass alle Instrumente so gut wie möglich zusammenspielen und es keine losen Enden gab. Drumfills wurden auf Gitarrenläufe angepasst, neue Gesangsstile ausprobiert und die Fußorgel kam zum Einsatz. Das war für uns die Herausforderung, die wir gemeistert haben und die uns gestärkt hat.
Komplex und dennoch geerdet
MH: Trotz der Komplexität, in der ihr euch manchmal fast verliert, klingen die Songs geerdet. Was hält euch in stürmischen Zeiten am Boden, so dass ihr das Auge des Sturms umarmen und solche Songs
schreiben könnt?
CT: Eine schön formulierte Frage. Ich denke mal, dass es in der Tat einfach die Liebe zur Musik ist. Neue Klänge kreieren, sich von anderer Musik inspirieren lassen, die Zusammenarbeit und dann die Momente, in denen man erkennt, dass der Song wächst und Form annimmt. Das kann in schweren Zeiten in der Tat befriedigend und erleichternd wirken. Aber auch einfach das Beisammensein und die Sicherheit, dass wir uns aufeinander verlassen können. Wir machen diese Musik nun schon seit 11 Jahren und kennen uns noch länger. Da ist natürlich ein sehr enger und persönlicher Bund entstanden.
MH: Wie sieht Songwriting bei euch aus?
CT: Für den Großteil der Songs ist mein Bruder Laurent verantwortlich. Oft beginnt er damit, eine Idee zu entwickeln. Dann präsentiert er uns das Grundgerüst. Wenn wir alle damit einverstanden sind, arbeiten
wir die Idee gemeinsam aus. Dabei spielen die einzelnen Ideen und Vorschläge der Bandmitglieder eine große Rolle. Somit ist es am Ende ein gemeinsamer Prozess. Jedes Bandmitglied bringt seine Kreativität mit in den Prozess. Es kommt auch vor, dass Laurent und ich uns gegenseitig Ideen und Songfragmente vorspielen, die dann als Grundgerüst dienen. Es ist ein sehr lebendiger Prozess und ich behaupte, dass die Band so klingt, wie sie klingt, da jedes Bandmitglied seine Rolle innerhalb dieses Gefüges wunderbar einnimmt.
Von Lovecraft über Poe zu Rollins
MH: Woher oder von wem kommen die Texte? Wie weit haben sie mit euch persönlich zu tun? Oder sind sie eher als Texte entstanden, die die Atmosphäre der Songs auf einer anderen Ebene übermitteln?
CT: Die Texte stammen auch von Laurent und mir. In der Vergangenheit nahm ich eine größere Rolle bei dem Schreiben von Texten ein, jedoch haben wir bei dem neuen Album das Schreiben der Texte genau aufgeteilt, sodass 3 Stücke von Laurent und 3 von mir geschrieben worden sind. Es ist auch das erste Mal, dass wir uns von literarischen Quellen lösten und uns diesmal auf persönliche Erlebnisse, Gedanken und Gefühle konzentrierten. Zumindest für mich war es eine Herausforderung, die ich aber gern angenommen habe. Auf poetische Art umschrieben habe ich diesmal mein Inneres geöffnet. Das bereue ich auch nicht. Sondern begrüße es als eine Facette unserer Weiterentwicklung. Zudem die Songs musikalisch die Emotionen der Texte perfekt widerspiegeln. Wir fanden es auch spannend, den Hörern Raum zu geben, die Texte selbst zu interpretieren. Da wir nicht viel dazu ‚erklärt‘ haben, gab es gute Gespräche über unsere Texte und wir haben spannende Interpretationen gehört.
MH: Ihr habe ja anfangs Fantasy/frühe Horror-Literatur als Vorbild genommen. Wer von euch ist denn Fantasy- oder Horror Fan?
CT: Das wäre dann ich. Das Lesen von guter Literatur sowie das Suchen und Finden neuer, mir noch unbekannter Schriftsteller und Büchern ist für mich auch sehr wichtig im Leben. Ich fühle mich hingezogen
zu düsteren Geschichten und liebe es, mich in diesem Feld auszutoben.
Phantastische Literatur
MH: Welche Autoren haben eine besondere Rolle gespielt?
CT: Was die Band dabei betrifft, so stand zu Beginn ganz klar H.P. Lovecraft Pate und „Summoning Black Gods“ ist, bis auf zwei Ausnahmen, komplett von seinen Werken und denen seiner damaligen
Brieffreundschaften beeinflusst. Es war bei weitem keine Innovation, diese Texte im Metal zu verwenden, jedoch fanden wir dies für uns sehr passend. Auf dem zweiten Album haben wir uns an älterer Literatur aus dem eher phantastischen Spektrum orientiert. Wie z.B. Edgar Allen Poe, Johann Peter Hebel oder Gustav Meyrink. Uns war klar, dass wir nicht weiter über das Lovecraft-Universum schreiben wollen. Sondern dass wir uns auch bei den Texten ohne Limitierungen weiter austoben wollten.
MH: Und was liest du zurzeit?
CT: Zurzeit lese ich viel von Philip K. Dick, Thomas Ligotti und Henry Rollins, um mal einen Auszug zu geben. Ich bin aber immer auf der Suche nach Neuem. Daher bin ich dankbar für jede Empfehlung, die ich
kriege. Gerade bin ich in den letzten Zügen eines Sammelbandes der Kurzgeschichten aus dem ‚Cthulhu Mythos’ von Clark Ashton Smith. Was ich jedem empfehlen kann, der auf subtile, sehr dunkle Horror Literatur steht, sind die Werke von Thomas Ligotti. „Theatro Grotesssco“ hat bei mir Alpträume ausgelöst. Eine bizarre Mischung aus Kafka, David Lynch, Poe und Lovecraft.
Sprachlosigkeit – und wie Musik ihr begegnen kann
MH: Ich möchte jetzt auf euer letztes Album „…And As We Have Seen The Storm, We Have Embraced The Eye“ zu sprechen kommen. Auf diesem Album geht es viel um die Suche nach Antworten, Umgang mit schwierigen Situationen, Sprachlosigkeit… Wie weit sind da persönliche Erlebnisse oder Eindrücke mit eingeflossen?
CT: Jeder einzelne Text ist direkt beeinflusst von persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen. Wie bereits angesprochen, möchten wir diesbezüglich nicht viel zu den Inhalten sagen, wobei manche auch sehr deutlich sind. Ich kann nur nochmal betonen, dass es eine neue und herausfordernde Erfahrung für mich war.
MH: In welcher Weise kann Musik der Sprachlosigkeit begegnen?
CT: Musik spricht auf vielen Ebenen an und hat eine beruhigende und sichernde Wirkung. Für jemanden, der Schwierigkeiten hat, seine Emotionen oder seine Gefühlslage zu verbalisieren, kann Musik eine Ausdrucksform sein. Sei es Trauer, Freude oder auch Niedergeschlagenheit: Musik transportiert diese Gefühle. Jeweils auf eine andere und individuelle Weise. Und dadurch kann es vorkommen, dass man sich nicht mehr missverstanden fühlt oder sogar gehört, ohne dass man beurteilt oder bewertet wird. Ich würde mal behaupten, dass, selbst wenn es einem danach nicht besser geht, das Gefühl verstanden zu werden, trotzdem da ist. Sei es nur durch die Musik oder die Texte.Ich persönlich möchte Platten wie die von TYPE O NEGATIVE oder JOY DIVISION nicht mehr missen. Oder die von IRON MAIDEN. Alles Bands und Scheiben, die mich und meine Gefühlswelt schon lange begleiten und maßgeblich beinflussen.
Hier beende ich den ersten Teil. Im zweiten Teil, den ihr morgen hier auf metal-heads.de lesen könnt, geht es um Kunst, Artwork, die Rolle repetitiver Strukturen aber auch um Lieblingssongs vom neuen Album und ein paar eher persönlich-informative Dinge.
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Bildquellen
- Chapel of Disease 07.06.19 RHF 2019 Gelsenkirchen: (c) Chipsy-Karsten Frölich/www.metal-heads.de
- Chapel of Disease 07.06.19 RHF 2019 Gelsenkirchen: Bildrechte beim Autor
- Chapel Of Disease Köln Essigfabrik 4: Bildrechte beim Autor
- Chapel Of Disease Köln Essigfabrik 8: Bildrechte beim Autor
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