OSYRON – Das große Interview
Foundations
ist seit dem 10.07.2020 ganz frisch auf dem Markt. Wer auf anspruchsvollen symphonischen Metal mit inhaltlichem Tiefgang steht, der muss sich OSYRON anhören. Das Werk „Foundations“ wurde von mir bereits in einer ausführlichen Review vorgestellt (siehe hier). Ich war begeistert von dem epischen Album und wollte unbedingt mehr darüber wissen. Die Kanadier haben mir die Ehre erwiesen sich meinen Fragen zu stellen und es ist wahrlich ein sehr interessantes Interview geworden. Wenn Ihr es gelesen habt, dann werdet Ihr mir beipflichten, dass OSYRON wirklich eine tolle Truppe ist, von der man in Zukunft sicherlich noch viel Gutes erwarten darf.
Das Interview mit OSYRON
Hallo Jungs, Ihr habt das wirklich tolle Album „Foundations“ veröffentlicht. Es ist nicht nur musikalisch hervorragend umgesetzt, sondern hat auch inhaltlich eine herausragende Bedeutung. Das Album hat es also verdient geehrt zu werden und mehr darüber zu erfahren, genauso wie über die Männer, die das Album erschaffen haben. Fangen wir an….
Die Nation Kanada
MH: Wenn ich Euch besuchen würde, welche drei Dinge würdet Ihr mir zuerst zeigen, um mir Euer Land näher zu bringen?
Cody (Drums): Wenn man uns zu dieser Jahreszeit unter normalen Umständen besuchen würde, würde ich als erstes die Calgary Stampede besuchen. Dies ist eine riesige Outdoor-Show, die Musik, Küche und westliche Tradition vereint. Es ist das erste Jahr seit Beginn der Show im Jahr 1923, dass sie wegen COVID abgesagt werden musste.
Als nächstes würde ich Dich aus der Stadt in die großen Weiten der kanadischen Rockies führen. Um ein Gefühl für den Maßstab zu bekommen, muss man sich vorstellen, dass die für Euch benötigte Zeit in ein benachbartes europäisches Land zu reisen mit der zu vergleichen ist, die wir benötigen, um in die Berge zu reisen. Es gibt überall Provinzparks mit erstaunlichen Wanderwegen, sowie riesige Gebiete bekannt als Crown Land, wo man campen, jagen, fischen, querfeldein gehen und so die endlose Wildnis erkunden kann. Achtet dabei einfach auf die Bären und die großen Katzen!
Und schließlich würde ich Dir empfehlen, zurück in die City einer großen Stadt wie Calgary oder Vancouver zu gehen, um dort die vielen Pubs, Musikclubs und Restaurants zu erkunden. Es gibt nicht nur einen unerschöpflichen Schmelztiegel verschiedenster kulinarischer Genüsse aus der ganzen Welt inklusive köstlicher Biersorten, sondern auch eine sehr vielfältige Auswahl an Underground-Musik zu hören. Natürlich ist vieles davon aufgrund der Sperrungen im Moment nicht so gut möglich.
Bobby (Guitar) : Ein Eishockeyspiel!
Reed (Vocals) : Zwei Eishockeyspiele!
Die Beziehung zur Natur
MH: Kanada steht für tolle Landschaften und endlose Wildnis? Welche Verbindung habt Ihr zur Natur und welche Rolle spielt sie für Euch?
Cody (Drums): Aus Alberta zu sein bedeutet, dass du sterben würdest, wenn du nicht zum Campen, Wandern und Schießen gehst. Hier in Alberta ist Camping eine wichtige Wirtschaftsmaschine im Sommer, gefolgt von der Jagd im Winter. Wir haben öffentliche und private Campingplätze, die dafür gemacht sind, dass dort viele Menschen campen können. Ich persönlich halte das für einen Witz. Ich ziehe es vor, viel weiter hinaus in die Berge zu gehen als jeder Campingplatz, finde einen schönen Platz entlang eines Gletscherbaches und bleibe eine Woche, um meinen Kopf vom Stadtleben zu befreien! Aber ich bin wahrscheinlich komisch.
Abstammung und Geschichte
MH: Euer Album „Foundations“ beschäftigt sich mit dunklen Phasen der Geschichte. Habt Ihr Vorfahren in Eurer Familiengeschichte, die den Ersten Weltkrieg erlebt haben? Hat jemand von euch indianische Vorfahren?
Cody (Drums): Mein kanadisches Erbe reicht nur bis in den 2. Weltkrieg zurück, wo ich einen Großvater hatte, der während der Befreiung Hollands in den kanadischen Streitkräften kämpfte. Er war für die Wartung der britischen Panzerfahrzeuge zuständig, die gegen die deutschen Panzerdivisionen kämpften. Deshalb waren die Kriegsgeschichten, die ich von ihm hörte, bevor er von uns ging, sehr real und anschaulich. Vor dieser Zeit ist bekannt, dass meine Vorfahren hauptsächlich aus England, Schottland und der Ukraine stammen; aber jemand von meinen Großeltern ist Indianer.
Reed (Vocals): Von mütterlicher Seite gibt es eine Abstammungslinie zu den MÉTIS. Was den 1. Weltkrieg betrifft, glaube ich nicht, dass ich eine unmittelbare Verbindung in meiner Abstammung habe; nur den 2. Weltkrieg betreffend.
(Anm. d. Verfassers: Die MÉTIS sind eine indigene Gruppe in Kanada. Näheres hier!)
Krzysztof (Guitar): Ein Urgroßvater von mir wurde eingezogen, um im Ersten Weltkrieg zu kämpfen. Aber er verbrachte einen Großteil des Krieges damit irgendwie zu vermeiden auf jemanden zu schießen und versuchte nicht an dem „Grabenfuß“ oder einer Vielzahl anderer scheiß Krankheiten zu sterben, die man bekommt, wenn man in Schlamm und Leichen herumdümpelt. Es machte ihn so fertig, dass er in der Zeit zwischen den Weltkriegen alles in seiner Macht stehende tat, um alle seine Söhne davon abzuhalten, in irgendeiner Eigenschaft der Armee zu dienen. Natürlich konnte er es im Endeffekt nicht verhindern, als der nächste Krieg wieder unvermeidbar auf ihn zukam.
(„Grabenfuß“ war ein typische Krankheit im Ersten Weltkrieg und war eine Erkrankung des Fußes, welche durch den ständigen Aufenthalt in den feuchten Gräben entstand. Durch auftretende Infektionen konnte man daran sterben.–näheres hier)
Wichtige Ereignisse
MH: Eure ersten beiden Lieder, „The Cross“ und „Ignite“, befassen sich mit der Kolonisierung Kanadas und dem Ersten Weltkrieg. Warum habt Ihr Euch für diese beiden historischen Ereignisse entschieden? Wie seid Ihr auf die Idee gekommen, die Geschichte Kanadas in dieser Form zu aufzuarbeiten?
Reed (Vocals): Beide Ereignisse spielen eine entscheidende Rolle bei der Entstehung Kanadas als Nation. Wir sind (wie viele andere Nationen) auf Krieg, Expansion, Kolonisierung und leider Völkermord aufgebaut. Wir hielten es für wichtig, Inhalte zu haben, die sowohl das europäische Engagement unseres Landes (Unabhängigkeit/Souveränität) als auch die Misshandlung der ersten Völker Nordamerikas berühren.
Musikalisches Konzept
MH: Diese beiden o.g. Lieder sind sehr bombastisch symphonisch geworden und haben manchmal eine bedrohliche und auch anklagende Wirkung? War das Eure Absicht?
Bobby (Guitar): Für „The Cross“ wollten wir einen Song, der ziemlich einfach zu spielen, aber riesig klingen sollte. Wenn man sich jedes Instrument einzeln anhört, dann wirken diese tatsächlich nicht zu technisch. Dies sollte Reed und vor allem dem Orchester ermöglichen, wirklich durchzuscheinen und diese Schichten sichtbar werden zu lassen. Wir wollten, dass sich die Orchestermelodie des Liedes während der Verse aufbaut und dann während des Outro nach diesem letzten Chor voll aufgeht.
Krzysztof (Guitar): Musikalisch war „Ignite“ etwas, was ich eines Tages an der Gitarre zusammengefrickelt habe. Es begann mit dem Chorus Riff („You wanted to speak“ etc.) und dem mittleren Instrumentalteil (der harmonisierte Gitarren-/Leadteil nach der eingebauten Bridge mit dem großen Orchester). Alles dazwischen wurde mehr oder weniger unbewusst eingebaut. Kurz gesagt, ich wachte auf mit diesem wunderbaren Donut auf meinem Schoß und ich musste herausfinden, welche Fruchtfüllung am besten geeignet war, um das Ding vollzumachen.
Reed (Vocals): „Ignite“ war Kris‘ Idee und seine Riffs. Es endete aggressiv und technisch, was wiederum eine Parallele zu „The Cross“ war.
Religion – Eine gute Sache?
MH: „The Cross“ handelt auch von Religion. Ihr habt in diesem Lied bewusst das Symbol des christlichen Glaubens gewählt. In diesem Zusammenhang steht Ihr dem christlichen Glauben kritisch gegenüber. Seht Ihr Religion im allgemeinen kritisch oder nur spezifisch dann, wenn sie, wie damals, als Deckmantel für die Eroberung eines Landes dient?
Reed (Vocals): Gute Frage. Die Menschen haben die Freiheit, an jede Religion zu glauben und sie zu praktizieren, die sie in Kanada so wählen… im Jahr 2020!!! Dies war jedoch NICHT der Fall in den 1500er, 1600er Jahren und sogar bis ins 20. Jahrhundert hinein. Wenn die Weltmächte Frankreich und England während dieser Zeit den Islam oder den Buddhismus praktiziert hätten und den First Nations of Canada während dieser Zeit einen kulturellen, spirituellen Völkermord zugefügt hätten, dann wäre das Lied kritisch gegenüber diesen Überzeugungen. Die Kritik richtet sich lediglich an die Ereignisse, die in diesem Zeitraum aufgetreten sind. Genauso richtet sie sich gegen die Art und Weise wie diese Überzeugungen und Religionen den Menschen aufgezwungen wurden, die vielleicht nicht nach ihrem Verständnis und ihren Regeln lebten. Dies ist nicht so sehr eine Kritik an der Religion selbst, sondern eher eine Kritik daran, wie die Kirche innerhalb der Kolonisierung der Nation genutzt und umgesetzt wurde.
Polnische Volksmusik
MH: „Ignite“ enthält auch orientalische Klänge? Das hat mich angesichts der Thematik überrascht. Wie seid Ihr auf diese Idee gekommen?
Krzysztof (Guitar): Als Einwandererkind (wenn mein Name kein bedeutungsloses Geschenk ist… haha) kam ich nach Kanada und wuchs in einem Haushalt auf, der regelmäßig viel Volksmusik aus der Heimat (Polen) hörte. Diese Musik hat ihre ganz eigene sonderbare Ausstrahlung; und es zog mich natürlich zu Typen wie Friedman, Becker, Yngwie und anderen „neoklassischen“ Schreddern, aber es zog mich auch zu Typen wie Django Reinhardt und damit mehr zu reinrassigem Pariser Swing und Osteuropäischer Volksmusik, die gerade mit diesen speziellen Klängen gespickt ist.
Dieser spezielle Abschnitt ist im Grunde die Musik, die sich durch mich manifestiert. Obwohl ich bewusst nicht an die Theorie dahinter denke, befindet sich der ganze Abschnitt im 5. Modus von f Harmonic Minor, oder im „gefürchteten“ Phrygian Dominant-Modus ,wobei nur der 6. Grad angehoben und gesenkt wird, wenn man super technisch sein will. (Anm. d. Verfassers: ???????–Professionelle Musiker können damit wohl was anfangen.) Nachdem ich es geschrieben und analysiert hatte, habe ich beim Aufstellen einer schnellen Demo auf meinem Instagram-Account sogar den Beitrag „phrygian come at me bro“ betitelt, weil ich ein riesiger verdammter Nerd bin. Ich denke, Theorie ist ein großes, großartiges Werkzeug. Das Wissen hilft zu verstehen, warum bestimmte Sounds bestimmte Gefühle auslösen oder warum sie eben so klingen, wie sie es tun. Es macht Spaß, Musik aus diesem Blickwinkel zu betrachten und zu analysieren, nachdem du sie geschrieben hast, einfach nur um zu tüfteln. Aber es ist definitiv nicht etwas, worüber ich beim Schreiben bewusst nachdenke. Wie auch immer, ich hol Dir einen Kaffee, weil ich mir sicher bin, dass Dich das zum einschlafen gebracht hat.
Helden und Visionen
MH: „Battle Of The Thames“ ist ein sehr gefühlvoller, aber auch trauriger Song. Dennoch ist es ein ebenso kraftvoller Song, der am Ende zu einem heroischen Epos wird. Ein würdiges Lied für diesen außergewöhnlichen ehrwürdigen Mann. TECUMSEH war wirklich ein großer Visionär und ein noch größerer Held. Glaubt Ihr, dass es solche Helden heute noch gibt?
Reed (Vocals): Ja, Du schreibst gerade mit ihnen! Mal Witz beiseite…Helden erheben sich in Momenten der Verzweiflung, und Trauer. TECUMSEH kämpfte für das, woran er und sein Volk glaubten. Hier werden wahre Helden geboren. Heutzutage? Vielleicht nicht in Teilen der Welt, die gedeihen, sondern vielleicht in Nationen und Gemeinschaften, die sich in weniger glücklichen Verhältnissen befinden. Ich hoffe, dass es heute solche Helden noch gibt. Wir werden sie immer brauchen!
Das Nichtvergessen
MH: „Foundations“ ist einer globalen Botschaft gewidmet. Leider ist die gesamte Geschichte der Menschheit von vielen Kriegen und anderen Greueltaten geprägt. Ihr habt eine klare Botschaft, dass wir nicht alles vergessen dürfen, damit wir die Zukunft besser gestalten können. Sind solche Visionen überhaupt machbar, wenn man sich die aktuelle Situation der Welt anschaut?
Reed (Vocals): Der Tag, an dem wir vergessen oder aufhören, uns um eine bessere, hellere Zukunft zu kümmern, ist der Tag, an dem die Menschheit nichts mehr besitzt, wofür sie einstehen kann. Wir müssen uns immer an unser Fehlverhalten erinnern, während wir uns auf morgen konzentrieren und wie wir es zu einem besseren Ort machen können! Hört nie auf zu wachsen und stärker zu werden! Die Menschen und unsere Gesellschaften haben noch einen langen Weg vor sich! Also nicht aufhören!
Dinge aufrütteln
MH: Also lasst uns über „The Ones Below“ sprechen. Das Lied beschäftigt sich auch mit ernsten Themen, aber es ist in seiner Art anders als die anderen Songs. Er ist nicht symphonisch, sondern rockiger und klingt eher kämpferisch. Warum habt Ihr Euch für dieses Konzept bei „The Ones Below“ entschieden?
Bobby (Guitar): Musikalisch wurde dieses Lied geschrieben, um ein wenig traditioneller zu sein (im Sinne von Struktur, traditionelles Solo, wiederholte Chöre, etc.) und es auf das nötigste zu reduzieren. OSYRON-Songs sind in der Regel mit mehreren Schichten von Gitarren, Gesang, Orchesterinstrumenten, sich-nicht-wiederholenden Abschnitten gefüllt, immer vorwärts, und so weiter…. Wir wollten, dass dieser Song ein wenig herausragt und die Dinge aufrüttelt, und das ist uns hoffentlich gelungen.
Bier
MH: Ich weiß nicht, welche Antworten Ihr auf meine erste Frage gegeben habt. Also möchte ich den Kreis schließen und fragen, ob es leckeres Bier in Kanada gibt? Welches ist Euer Favorit? Wie ist der Vergleich zu deutschem Bier?
Bobby (Gitarre): Mein Lieblingsbier aus Kanada wäre wahrscheinlich Alexander Keiths IPA oder Guinness. Es gibt auch ein bayerisches Lager aus dem Jahr 1516, das verdammt gut ist.
Reed (Vocals): Sleemans Honey Ale, Big Rock Traditional und Granville Island es Winter Ale. Un-freakin‘-echte Knospe.
Cody (Drums): Ich weiß nicht… ich bin für alles, was gut gemacht ist und wie echtes Bier schmeckt. Nichts von dem fruchtigen Zeug aus den Mikrobrauereien gefällt mir persönlich wirklich. Ich bin eher der Typ, der sich in ein Sudhaus setzen und ihre Hausmarke IPA oder Lager bestellen wird. Wenn es gut ist, bestelle ich weitere.
Krzysztof (Guitar): Ich habe leider nur ein paar importierte deutsche Biere ausprobiert, aber sagen wir mal.. Alberta hat einen aufkeimenden Craft-Bier-Markt. Wir haben etwa 125 Craft-Brauereien und nur 19 Städte in der Provinz. Du musst herkommen und sie einfach probieren! Wir haben Brauer für Pilsner, Ales, IPAs, Stouts, egal was Du geschmacklich bevorzugst. Mäßige Deine Erwartungen und denke daran, dass Ihr bei Euch Bier seit über 1500 Jahren braut. Wir machen es erst in einem Bruchteil dieser Zeit, aber es ist eine Kultur / Industrie, die jedes Jahr wächst und expandiert. Wenn Du mal kommst, dann nehmen wir Dich mit und zeigen Dir die Zapfhähne.
Eines noch…
Wer noch mehr über die Hintergründe des neuen Albums „Foundations“ erfahren möchte, der sollte sich das ca. 60 minütige Video von OSYRON anschauen, in dem sie das komplette Album zusammen als Gruppe durchgehen und besprechen.
Die englische Originalversion des Interviews mit OSYRON findet ihr HIER!
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Bildquellen
- OSYRON Album-Infos: OSYRON Album Infos - Background www.pixabay.de (Orange Fox)
- Osyron_promo-Bandfoto: Osyron Bandfoto über CMM GmbH
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