Rückblick auf 2022: Musik aus dem Westen
Nachdem es im ersten Teil des Jahresrückblicks um Musik aus dem Norden ging, geht es heute um Musik von Musikern und Bands aus dem Westen, die mir 2022 Spaß gemacht und deren Konzepte mich begeistert haben: Andi the Wicked, Adrian Weiss, LONG DISTANCE CALLING und BLACK SPACE RIDERS (in der Reihenfolge des Erscheinens der Alben) Zu jedem der im Folgenden vorgestellten Alben gibt es eine Review und auch ein Interview.
Zunächst geht es um zwei Gitarristen und ihre Instrumentalalben. Vor dem Release wird immer wieder die Frage gestellt, ob hier ‚nur die Spieltechniken‘ im Vordergrund stehen, mit denen die Gitarristen zeigen, was sie können.
Klar zeigen Andi the Wicked und Adrian Weiss auch, was sie spieltechnisch drauf haben. Aber nicht als Selbstzweck, sondern als Zugabe oder wenn man so will: als Verzierung. Beiden haben Alben mit einem spannenden Aufbau, tollen Melodien und Riffs sowie etlichen Überraschungen herausgebracht. Alben nicht nur für Fans von Instrumentalmusik sondern auch für Fans von metal-basierter, abwechslungsreicher und kraftvoll-verspielter Gitarrenmusik.
Straight and wicked instrumental metal: „Sexually Transmitted Mojo” von Andi the Wicked
Andi The Wicked – das ist Andreas Dötsch, der, wenn er sich nicht gerade mit seiner eigenen Musik beschäftigt, bei STEELPREACHER für coole Soli zuständig ist. Mit seinem im März 2022 erschienen Album „Sexually Transmitted Mojo“ zeigt er, dass eine virtuos gespielte Gitarre genauso gut Geschichten erzählen kann, wie der Gesang.
Wie oben schon geschrieben, ist es ein Album, bei dem der Heavy Metal die Grundstruktur bildet und sich wie ein roter Faden durch alle Stücke zieht. Aber auch Blues, Hard Rock und klassisch gespielte Musik sind mit dabei. Es gibt also ganz unterschiedliche Geschichten zu hören und vieles zu entdecken.
Ein abwechslungsreiches Album mit einem richtig fetten Sound
Was unter dem Titel „Sexually Transmitted Mojo“ zu verstehen ist, darf sich jeder selbst ausmalen. Ob der Hinweis, dass der Besuch beim Urologen etwas damit zu tun hat, dann eher an „sexually transmitted“ denken lässt oder an „Mojos“ im eigenen Leben, ist dem Hörer überlassen. (Mehr dazu im Interview)
Klar ist jedenfalls: die Verbindung aus harten Riffs und melodischen Parts machen nicht nur im Titelsong den besonderen Reiz des Albums aus. Es gibt ausgearbeitete Strukturen mit feinen Melodien, rockige und metallische Riffs, Tempiwechsel und gut arrangiertes Power-Drumming. Gut getan hat dem Ganzen auch, dass Andi diesmal mit Jan Hinz einen ‚echten‘ Drummer dabeihatte. Herausgekommen ist ein abwechslungsreiches Album mit einem richtig fetten Sound.
„Be dangerous but disciplined” – Dangerous Discipline von Adrian Weiss
„Dangerous Discipline“ ist das vierte Solo-Album von Adrian Weiss. Als Gitarrist von THOUGHT SPERE, FORCES AT WORK über GLORYFUL und die ADRIAN WEISS BAND bis hin zu seinem aktuellen Death-Metal-Projekt SubOrbital ist Adrian Weiss insgesamt musikalisch breit aufgestellt.
„Dangerous Discipline“ ist – wie bereits erwähnt – ein Instrumentalalbum. Die Grundstruktur bilden die Melodien, auf die Adrian Weiss immer wieder zurückkommt. Auf einer rockenden Basis macht er nicht nur Ausflüge in Jazz und Fusion, sondern integriert auch Metal – Riffs und Leads.
Mit Sahnehäubchen
Das Album hat noch einige Überraschungen zu bieten. Denn Adrian Weiss hat die Bandbreite stilistischer Elemente noch auf andere Weise erweitert. Er konnte zehn Gitarristenkollegen und -kolleginnen gewinnen, die abwechslungsreiche Soli beigetragen haben. (u.A. Dee Dammers, Martin Miller und Yasi Hofer). Außerdem sind Marcel Willnat (Bass) und Ex-FORCES AT WORK – Drummer Sabir Salkic mit dabei, die die Stücke mit ihren Anteilen facettenreich ergänzen.
Mit „Dangerous Discipline“ hat Adrian Weiss seinen Sound noch einmal weiterentwickelt. Wie sich die Melodien aus den Riffs heraus entwickeln, ist noch klarer und eigenständiger geworden.
Es gibt natürlich auch temporeiche Shredpassagen, die aber eher Ausschmückung als Selbstzweck sind. Oder wie Adrian es im Interview ausdrückte: sie sind die Sahne auf dem Kuchen.
Die Menschheit und vom Aussterben bedrohte Tiere: „Eraser“ von LONG DISTANCE CALLING
Auch LONG DISTANCE CALLING kommen ohne Gesang aus und schaffen es, sich einem wichtigen Thema unserer Zeit eindringlich und dennoch ohne moralischen Zeigefinger zu nähern. Mit „Eraser“ haben sie sich damit auseinandergesetzt, wie der Mensch das Verhältnis zu anderen Lebewesen beeinflusst und bestimmt.
Auf ihrem vorangegangenen Studioalbum „How Do We Want To Live“ haben sie sich mit dem technischen Fortschritt, dem Verhältnis von Mensch und Maschine, der Auswirkung auf die persönliche Freiheit sowie mit humanistischen Grundwerten beschäftigt. Daher war es durchaus konsequent, den Blickwinkel auf weitere Aspekte des (Zusammen-) Lebens zu erweitern.
„Eraser“ ist das achte Album von LONG DISTANCE CALLING. Ideengebend für das Album war eine Dokumentation über einen Grönlandwal, der wahrscheinlich schon 500 Jahre alt ist. So entwickelten LONG DISTANCE CALLING basierend auf einer Liste von vom Aussterben bedrohter Tiere ein Konzept, in dem jedes der ausgewählten Tiere ein eigenes Lied erhalten hat.
Das titelgebende Stück „Eraser“ handelt vom Menschen, der seine Umwelt und langfristig auch sich selbst zerstört.
Soundtrack zum Kopfkino
Insgesamt ist das Album härter und progressiver als die Vorgänger. Und gleichzeitig musikalisch ideenreich, vielseitig und handwerklich wie immer großartig. Eines der Merkmale der Musik von LONG DISTANCE CALLING ist das Prinzip der Wiederholung, das den Stücken eine Struktur gibt, in der Detailarbeit möglich ist und zur Geltung kommt. Detailarbeit lag hier z.B. darin, ihre kompositorischen und instrumentellen Möglichkeiten zu nutzen, um den Tieren in einer Weise ‚eine Stimme zu geben‘, die Bilder zu diesen Tieren entstehen lassen, die zumindest mit meinen Bildern von ihnen übereinstimmen.
Teilweise hätte ich mir mehr Dissonanz oder Reibung gewünscht, um die Dringlichkeit eines Umdenkens zu unterstreichen. Andererseits gefällt mir, dass die Lieder auch von der Hoffnung darauf, dass die Menschheit zu Veränderung in der Lage ist, durchzogen sind.
Kurz und gut: es ist ein hörenswertes und interessantes Album.
BLACK SPACE RIDERS: „We Have Been Here before”
Dieses Album war für mich die Neuentdeckung des Jahres. Ja, ich habe die BLACK SPACE RIDERS tatsächlich nicht gekannt, obwohl sie in diesem Jahr ihr mit „We Have Been Here Before“ bereits ihr siebtes Album herausbringen. (Dank an Jan Hoffman von LONG DISTACE CALLING, der mich auf sie aufmerksam gemacht hat.)
Das Album der Band aus Münster beinhaltet 15 Songs, in denen sie auf einer spacigen Basis eine enorme Bandbreite an Klängen, Melodien und Rhythmen entfalten. Genregrenzen gibt es für sie nicht. Und so ist Hard Rock und Psychedelisches dabei, ist die Musik mal mächtig, mal zart.
„We Have Been Here before“ ist eine Reise durch Raum und Zeit. Insgesamt 15 Songs in 84 Minuten, bei denen sie mit einer enormen Bandbreite an Klängen und Rhythmen einen großartigen Rahmen für die Melodien und Texte geschaffen haben
Thematisch beschäftigt sich das Album mit den vielen Schleifen, die das Leben zieht. Mit Zyklen, die sich nicht nur auf persönlicher, sondern auch gesellschaftlicher Ebene vollziehen – und auch übergreifend, kosmisch.
„AAAAAAAAAAARRRRRRGGGH“ – das Leben eben
Als ich das Album zum ersten Mal gehört habe, hatte ich mir den Song „AAAAAAAAAAARRRRRRGGGH“ ausgewählt. Und damit war ich schon mittendrin im Album. Nach und nach öffnen sich psychedelische Räume mit verträumten, melancholischen Klängen, feinen Melodien, wummerndem Bass und flirrenden Gitarren und interessanten Texten.
Ja, richtig: hier wird gesungen. Dafür stehen den BLACK SPACE RIDERS zwei Sänger zur Verfügung, die weitere Gestaltungsmöglichkeiten genutzt haben.
Mir haben insbesondere die Texte von „Trapped in an endless loop“, „Beautiful“, „A whisper“ und „Worlds collide dans ma tête” gefallen. Einerseits wird hier die Schwere des Lebens in sich scheinbar endlos wiederholenden Schleifen deutlich, dann eine ‚offensiv-punkig-oppositionelle‘ Haltung, aber auch so etwas wie Hoffnung darauf, eine andere Sichtweise oder sogar einen Ausweg zu finden.
Damit ist dieses Album doch genau richtig für den Ausklang des Jahres, in dem oft noch einmal Rückschau gehalten wird. Ich hoffe, es gab für euch nicht so viele sich endlos wiederholende Schleifen, sondern neue Erfahrungen, interessante Momente und Ideen für die kommende Zeit. In diesem Sinne: Kopfhörer auf und reinhören!
Mehr Infos und noch mehr Musik gibt es hier:
Andi the Wicked
Adrian Weiss
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Bildquellen
- andi the wicked: ACFM Records
- adrian weiss 2022: Adrian Weiss
- long distance callling 2022 pic by andre stephan: networking Media pic by andre stephan
- black space riders 2022: Anger Management
- 2022 rückblick westen: ACFM; Adrian Weiss; networking media; Anger Management
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