„Eraser“ von LONG DISTANCE CALLING
„Eraser“ – LONG DISTANCE CALLING veröffentlichen neues Album (VÖ: 26. August 2022)
LONG DISTANCE CALLING haben sich auf ihrem letzten Studio-Album „How Do We Want To Live” mit dem Verhältnis von Mensch und Maschine, dem technologischen Fortschritt und der persönlichen Freiheit beschäftigt.
Und so scheint es nur konsequent, dass sie sich nach der Auseinandersetzung mit humanistischen Grundwerten auch damit beschäftigen, wie der Mensch das Verhältnis zu anderen Lebewesen bestimmt und beeinflusst.
„Eraser“: die Menschheit und vom Aussterben bedrohte Tiere
„Eraser“ ist das achte Album von LONG DISTANCE CALLING. Ideengebend für das Album war eine Dokumentation über einen Grönlandhai, der wahrscheinlich schon 500 Jahre alt ist. So entwickelten LONG DISTANCE CALLING basierend auf einer Liste von vom Aussterben bedrohter Tiere ein Konzept, in dem jedes der ausgewählten Tiere ein eigenes Lied erhalten hat.
Während auf dem Vorgängeralbum stimmig zum Thema Synthesizer und andere technische Elemente umfassend zum Einsatz kamen, haben sie bei „Eraser“ darauf verzichtet. Keine Samples, dafür Violine, Cello, Trompete, Posaune und Saxophon.
Der Opener ist kurz, nur 1:17 lang. Er ist wie ein Hinweis auf die „Black Box“, die in Tasmanien vergraben wurde. Auf ihr sind die Gründe für die Zerstörung der Umwelt aufgezeichnet. Als Warnung für kommende Generationen.
Die folgenden Lieder sind jeweils einem vom Aussterben bedrohten Tier gewidmet. Los geht es mit „Blades“ (Nashorn), das kraftvoll und rockend beginnt. Ein gut gewählter Einstieg, mit interessanten Schlagzeugpassagen und energischen Riffs. Überraschend das abrupte Ende.
Deutliche Mahnung ohne Worte
„Kamilah“ ist geprägt durch mächtige und kraftvolle Riffs. Das Lied findet einen eher melancholischen Abschluss Kamilah ist ein weiblicher Gorilla aus dem Zoo von San Diego. Sie ist der erste Gorilla, dessen Erbgut vollständig aufgeschlüsselt wurde, um besser zu verstehen, wann sich der Mensch im Laufe der Evolution von den Primaten getrennt hat.
„500 Years“ ist ein großartiger Song. Die anklagende und doch schöne Melodie wird von einer schluchzenden Gitarre gespielt. Im Mittelteil überwiegen dynamische Riffs. Zwischendurch immer wieder Reibungspunkte, die Trauer, Ärger und Verzweiflung andeuten.
„Sloth“ baut sich so bedächtig auf, wie sich das Faultier, dem das Lied gewidmet ist, dem gängigen Bild nach bewegt. Dabei ist „Sloth“ das Lied mit der größten Überraschung. Denn ein Saxophon hätte ich nicht direkt mit der Musik von LONG DISTANCE CALLING in Verbindung gebracht. Und kein geringerer als der Jazz- und Metalmusiker Jørgen Munkeby (SHINING, JAGA JAZZIST) verleiht der ruhigen und düsteren Saxophonmelodie Energie und Intensität.
Dem Albatros bleibt nicht viel Zeit
„Giants Leaving“ ist dem Albatros gewidmet. Ein antreibendes Motiv zu Beginn, ein durchgängig temporeiches Lied, das leider schon nach 3:28 zuende ist (ich glaube, es ist eines der kürzesten Stücke, die LDC je geschrieben haben.) Der Albatros hätte gerne noch ein paar Runden fliegen dürfen.
Der Biene gehört „Blood Honey“, das progressivste und auch längste Stück des Albums. Die Länge macht es möglich, das Lied langsam aufzubauen und viele überraschende rhythmische und melodiöse Ideen unterzubringen. So gibt es im Mittelteil eine fast schon zarte Perkussion-Passage. Und ansonsten ein Zusammenspiel von Bass und Gitarre, das dem Lied die Spannung gibt.
„Landless King“ ist das Lied des Tigers. Beginnend mit wabernden Klängen, dann zunehmend rockig und dynamisch mit feinen Leads. Energiereich und drängend endet der Song.
Der titelgebende Abschluss „Eraser“ handelt vom Menschen, der seine Umwelt und langfristig auch sich selbst zerstört.
Das Stück beginnt mit schrägen, fast dissonanten Klängen, die von den Streichern aufgegriffen werden. Diese Reibung und das drängende Tempo wirken atemlos. Es gibt einen Punkt, an dem so etwas wie Erschöpfung und Entmutigung durchklingen. Doch am Ende klingt es versöhnlich, hoffnungsvoll.
Mahnung, Hoffnung und Aufforderung zum Umdenken
Auch ohne Worte ist es LONG DISTANCE CALLING mit „Eraser“ gelungen, die Dringlichkeit der Änderung des Verhaltens der Menschen zu vermitteln.
Das Konzept, Stücke zu schreiben über die Tiere, die vom Aussterben bedroht sind, hat ihnen den Rahmen geboten, ihre kompositorischen Möglichkeiten zu nutzen, um diesen Tieren eine Stimme zu geben. Dabei stimmt die musikalische Gestaltung im Wesentlichen mit den Bildern, die ich zu diesen Tieren habe, überein.
Die Musik ist nachdenklich, drängend, anklagend. Aber das Album ist kein Abgesang auf eine Welt, die vom Menschen zerstört wird, sondern Mahnung und Aufforderung zum Umdenken. Dabei ist sie zum Ende hin immer wieder hoffnungsvoll.
An einigen Stellen hätte ich mir mehr Reibung und Dissonanzen gewünscht, um die Dringlichkeit des Umdenkens und Handelns zu verdeutlichen. Auf der anderen Seite ist es gut, dass die Hoffnung darauf, dass die Menschheit zu Einsicht und Veränderung in der Lage ist, Raum in der Musik gefunden hat.
„The Antidot to Fast Food Music”
Insgesamt ist das Album härter und progressiver als die Vorgänger. „Eraser“ ist musikalisch ideenreich und vielseitig. Und handwerklich wie immer großartig. Eines der Merkmale der Musik von LDC ist das Prinzip der Wiederholung, das den Stücken eine Struktur gibt, die Detailarbeit zulässt. Auch „Eraser“ wartet mit besonderen Details auf, die überraschen
Außerdem setzen die akustischen Instrumente Akzente und geben z.B. den Riffs einen weiteren Klang. Der Verzicht auf Samples jeglicher Art, war sicher eine Herausforderung, der sich LDC erfolgreich gestellt haben.
Die Qualität der Komposition besteht für mich auch darin, dass alle Instrumente gleichberechtigt sowohl die Basis schaffen als auch gestalterische Details einbringen. Der Mix unterstreicht dies bei „Eraser“ noch.
Also kurz und knapp: es ist ein großartiges Album.
NEWSLETTER. FREITAGS. KOSTENLOS.
Bildquellen
- LongDistanceCalling Eraser CoverArtwork 3000px: networking media
- long distance calling COL 2022 andre stephan: networking media pic by andre stephan
- long distance calling 2022 andre stephan: networking media pic by andre stephan
Neueste Kommentare